Was man nicht kennt, wirkt oft exotisch oder bedrohlich. Aber es kann uns bereichern. Mit aktuellen Projekten bieten Hamburgs Museen die Chance, sich selbst ein Bild zu machen.

Die Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten und womöglich Gefährlichen ist nicht neu, es hat sie schon immer gegeben. Wenn sich eine Gesellschaft abschottet, wird sie ärmer und verharrt in Unsicherheit und Sorge. Doch wer seiner selbst gewiss ist, öffnet sich auch dem Fremden, entdeckt neue Ideen und Konzepte. Immer dann, wenn Menschen neugierig auf das Fremde waren, es erkundet, verglichen und sich in Teilen angeeignet haben, konnte eine Stadt, ein Land, eine Kultur Gewinn daraus ziehen und sich weiterentwickeln. Für die nicht nur in unserer Geschichte fruchtbare, sondern auch ganz aktuell so viel diskutierte Wechselwirkung von Eigenem und Fremden finden sich in Hamburgs Museen und Ausstellungshäusern gerade in diesem Frühjahr zahlreiche Beispiele.

Der amerikanische Künstler James Benning, dem der Kunstverein in Hamburg seine erste Einzelausstellung in Deutschland ausrichtet, markiert diesen Pioniergeist. Der Experimentalfilmer, der sich mit Kultur und Ideologie, mit Landschaft und Technologie auseinandersetzt und dabei das scheinbar so selbstverständliche Freiheitsversprechen der US-Gesellschaft kritisch hinterfragt, steht für den intellektuellen Aufbruch Amerikas in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Der Versuch, ganz eigene Ausdrucksformen zu schaffen, sich aber dabei auch fremder und vorangegangener Entwicklungen zu bedienen, kennzeichnet die Postimpressionisten. Künstler wie Pierre Bonnard, Édouard Vuillard oder Henri Manguin orientierten sich nicht nur an großen Vorreitern der Moderne wie Cézanne, van Gogh oder Renoir, sondern auch an Zeugnissen fremder Kulturen, etwa der Kunst des japanischen Holzschnittes. Die Kunsthalle zeigt diese faszinierende Entwicklung in ihrer Ausstellung „Verzauberte Zeit“ mit der Rekonstruktion einer historischen Kunstsammlung. Zu sehen sind jene Meisterwerke der Postimpressionisten sowie deren Vorgänger, die das Schweizer Ehepaar Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler zwischen 1906 und 1936 in der berühmten Villa Flora im schweizerischen Winterthur zusammengetragen hat. Etwa 110 Gemälde, die ursprünglich zu der inzwischen legendären Sammlung gehörten, kommen als Leihgaben aus Museen und Privatbesitz in die Ausstellung, die durch einen Film und zwei Interventionen zeitgenössischer Schweizer Künstler ergänzt wird.

Im Jahr 1912 entschloss sich der spanische Maler Juan Gries zu einem Porträt, das er zugleich im Stil des Porträtierten gestaltete: Sein kubistisches Bildnis von Pablo Picasso war eine Hommage an den Jahrhundert-Künstler und leitete zugleich eine bis heute andauernde künstlerische Auseinandersetzung mit dessen Werk ein. Wie prägend und einflussreich Picasso in all seinen Phasen war, zeigt die intensive Rezeption durch Künstler von Georg Baselitz bis Martin Kippenberger, von Maurizio Cattelan bis Roy Lichtenstein, von Hanne Darboven bis Robert Doisneau. Diese und zahlreiche weitere Künstler, die die Deichtorhallen in ihrer großen Ausstellung „Picasso in der Kunst der Gegenwart“ zeigen, haben ihre eigene Kunst mit den maßstabgebenden Werken Picassos in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis ist keineswegs epigonal, es sind vielmehr oft spannende Dialoge entstanden, die über die reine Hommage hinausgehen und mitunter völlig ungeahnte Akzente setzen.

Joan Miró, der spanische Maler, wiederum strebte eine Kunst an, in der er sich weniger von Malerkollegen inspirieren ließ, sondern vielmehr Literatur, vor allem Poesie zum Element der eigenen Bildwelt machte. Dabei integrierte er Text-Elemente von Dichterfreunden wie André Breton oder Paul Éluard in seine Kompositionen und regte diese gleichfalls zu Texten an, wodurch auch zahlreiche Gemeinschaftswerke entstanden. Die Ausstellung „Miró. Malerei als Poesie“ vermittelt einen faszinierenden Eindruck vom spielerischen Umgang mit Wort und Bild, der für diesen bedeutenden Künstler des 20. Jahrhunderts charakteristisch ist.

Ein völlig anderes und durchaus widersprüchliches Verhältnis von Eigenem und Fremden zeigt das Medium der Bildpostkarte, das Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Das betrifft vor allem jene Motive, die in exotischen Ländern entstanden sind. Das Altonaer Museum, das über einen riesigen Bestand historischer Bildpostkarten verfügt, zeigt dazu zwar gegenwärtig keine Ausstellung, rückt die Wahrnehmung des Fremden aber im Rahmen eines Forschungsprojekts anhand von Motiven in den Fokus, die von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts in lateinamerikanischen Ländern aufgenommen wurden. Welche europäischen Erwartungen werden durch bestimmte Inszenierungen erfüllt? In welchen Rollen treten die Einheimischen für ein fremdes Publikum auf? Welche Klischees werden bedient und wo scheint mitunter unfreiwillig die wirkliche Situation hinter der sorgfältig inszenierten Bildkomposition auf? Diese und ähnliche Fragen stehen im Mittelpunkt des Projekts „Ambivalente Bilder. Fotos und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich“, das das Altonaer Museum in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Köln zurzeit realisiert.

Wiederum einen anderen Blick auf das Fremde hatten die jungen Ethnologen Kunz Dittmer und Jürgen Zwernemann, als sie sich im Auftrag des Museums für Völkerkunde Hamburg 1954 in die französische Kolonie Obervolta aufmachten, das heutige Burkina Faso. Sie waren auf der Suche nach der „wahren Tradition“ dieses westafrikanischen Landes, nach einer von europäischen Einflüssen noch unberührten, unverfälschten Kultur. Um sie zu finden, begaben sie sich in die abgelegenen Dörfer der Nuna und Kassena, sprachen mit Häuptlingen, Wahrsagern und traditionellen Heilern. Doch auch ihre Sicht auf das fremde Leben war nicht unvoreingenommen, sondern zielte auf eine traditionelle Kultur ab, die es in dieser Form nicht geben konnte, weil es auch in der afrikanischen Savanne stets zu Mischformen aus eigenständiger Entwicklung und äußeren Einflüssen gekommen war. „Aus einer anderen Zeit … Ethnologische Feldforschung 1954–56 in der westafrikanischen Savanne“ heißt eine Ausstellung im Völkerkundemuseum, in der es einerseits um das Verständnis und den Wandel der wissenschaftlichen Methoden geht, in der aber auch zahlreiche kostbare Fundstücke, Fotografien und Aufzeichnungen zu sehen sind, die Dittmer und Zwernemann von ihrem Aufenthalt mit nach Hamburg gebracht haben.

Eine Suche nach fremden Welten und nach dem Reichtum ferner Völker war das Motiv, das Menschen zur See fahren ließ. „Der Mensch hisste Segel, bevor er ein Pferd sattelte“, schrieb der norwegische Anthropologe Thor Heyerdahl. Tatsächlich ermöglichte das Segel den Seefahrern der europäischen Antike, aber auch den Völkern Polynesiens schon in vorgeschichtlicher Zeit, große Distanzen zu überwinden und die eigene Kultur mit der der fremden Völker in Beziehung zu setzen. Das geschah in friedlicher, aber auch in kriegerischer Absicht, denn wer das Meer beherrschte, beherrschte den Handel. Und wer den Handel beherrschte, der besaß die Macht. Wie das Segel die Seefahrt im Lauf von 5000 Jahren Geschichte verändert hat, zeigt das Internationale Maritime Museum in seiner Dauerausstellung „Mit dem Wind um die Welt. Schiffe unter Segeln“ auf Deck zwei des historischen Kaispeichers B in der HafenCity.

Die Angst vor dem Fremden speist sich oft aus schierer Unkenntnis, denn was man nicht kennt, wirkt oft bedrohlich. Gerade in einer Zeit, in der auch in Deutschland fremdenfeindliche Bewegungen für Schlagzeilen sorgen, haben Museen eine besonders wichtige Bildungs- und Informationsaufgabe. Wie Neueröffnungen von entsprechenden Abteilungen in London, New York und Paris zeigen, steht dabei der Islam zurzeit besonders im Fokus. Auch das Museum für Kunst und Gewerbe trägt dem nun mit einer Neueinrichtung seiner Islam-Sammlung Rechnung. In fünf Räumen werden mit 260 Objekten zentrale Themen der im siebten Jahrhundert entstandenen Religion und deren kulturelle Zeugnisse so präsentiert, dass der Besucher sie in Beziehung zur eigenen kulturellen und religiösen Herkunft setzen kann.

Picasso in der Kunst der Gegenwart, 1.4. - 2 .7., Deichtorhallen, www.deichtorhallen.de

Mit dem Wind um die Welt. Schiffe unter Segeln, dauerhaft, Internationales Maritimes Museum Hamburg, www.imm-hamburg.de

Verzauberte Zeit. Cézanne, van Gogh, Bonnard, Manguin, bis 16.8., Hamburger Kunsthalle, www.hamburgerkunsthalle.de

James Benning. Decoding Fear, bis 10.5., Kunstverein in Hamburg, www.kunstverein.de

Miró. Malerei als Poesie, 31.1. - 5.5., Bucerius Kunst Forum, www.buceriuskunstforum.de

Aus einer anderen Zeit …, 8.3.2015 - 8.2.2016, Museum für Völkerkunde Hamburg, Rothenbaumchaussee 64, www.voelkerkundemuseum.com

Neueinrichtung Sammlung Islam, ab 12.4., Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, www.mkg-hamburg.de