Eine aktuelle Schau zu Afrika im Museum für Völkerkunde Hamburg dokumentiert Methoden ethnologischer Forschung damals und heute. Eine Forschungsreise von 1954 bis 1956 legte mit über 1000 Exponaten den Grundstein für die Ausstellung.

Manchmal kommt es vor, dass einem Menschen Dinge, die er 50 Jahre nicht fertigbekommen hat, keine Ruhe lassen. Wenn dieser Mensch dann noch neugierig, fleißig und pflichtbewusst geblieben ist, wird daraus ein Glücksfall. Über diesen jubiliert der Direktor des Völkerkundemuseums Wulf Köpke im Geleitwort zu dem neuen Buch „Ethnologische Afrikaforschung vor 60 Jahren“, das das Haus an der Rothenbaumchaussee kürzlich herausgegeben hat. Jürgen Zwernemann, ehemals Direktor des Museums, hat es geschrieben und damit die größte Expedition seines Lebens Jahrzehnte später zum Abschluss gebracht. Eine Mammut-Aufgabe, mit der er erst nach seiner Pensionierung anfangen konnte. Es waren zwei Reisen zu den Völkern der Kassena und Nuna nach Burkina Faso und Ghana in den Jahren 1954 bis 1956, die dem Museum über 1000 neue Sammlungsgegenstände einbrachten. Davon sind jetzt rund 500 in einer neuen Ausstellung zu sehen, die das Afrika-Jahr des Hauses eröffnet und kritische Fragen zu vergangenen und gegenwärtigen Methoden ethnologischen Forschens einschließt.

Wer den Raum unweit des Eingangs betritt, wird sich erst mal von Körben umringt fühlen, sie hängen dicht an dicht über dem Kopf, und sie füllen die Vitrinen des ersten Kabinetts. Ringsum kann man die vielfältigsten Flechtkünste bewundern, die die Nuna und Kassena zur Zeit der Reise beherrschten.

Sicherlich ist der Besuch der Ausstellung auch ohne tiefere Lektüre anregend und ein Gewinn. Ergänzend bietet sich allerdings unbedingt an, im Tagebuchteil der neuen Publikation zu schmökern und ungeschönt davon zu lesen, wie es zugegangen ist auf dieser Reise.

Kunz Dittmer, der damalige Leiter der Afrika-Abteilung, hatte Jürgen Zwernemann (heute 85 Jahre alt) als seinen jungen Assistenten mitgenommen und wohl ziemlich autoritär die Richtung vorgegeben, in die geforscht werden sollte. Auffallend ist beispielsweise, dass die weibliche Hälfte der beiden Völker bei den umfangreichen Befragungen und Gesprächen nahezu völlig ausgelassen wurde. Eine rein aus männlicher Sicht betriebene völkerkundliche Forschung darf also an sich schon angezweifelt werden.

Dennoch ist das, was die Forscher erkundet haben, so systematisch und gründlich noch nie zusammengetragen worden und auch so ein wertvoller Beitrag zu dem Bemühen der internationalen Völkerkunde, kulturelles Wissen für die Nachwelt zu bewahren. Selbst in dem Bewusstsein, dass das zusammengetragene Wissen widersprüchlich und unvollständig sein kann.

Auch Dittmer und Zwernemann hatten festgestellt, dass in diesen letzten Jahren der französischen Kolonialherrschaft die Moderne in Afrika eingezogen war. Pferde fanden sie beispielsweise kaum noch, dafür fuhren viele Afrikaner mit Fahrrädern und manche mit dem Auto umher. Dittmer aber hatte eine spezielle Vorstellung von dem, was er sammeln wollte: Es sollten Zeugnisse einer traditionellen Kultur sein, unverwässert durch fremde Einflüsse, also frei von Fahrrädern und anderem modernen Firlefanz aus Europa. So kommt es zum Beispiel, dass er und sein Assistent Zwernemann viele Saiteninstrumente erwarben, die schon in den 50er-Jahren nicht mehr im Gebrauch waren. Ähnlich wie der prächtige Sattel, der in einem weiteren Schaukasten thront. Der Ethnologe Carl Triesch ist Teil des Ausstellungs-Teams. Er hat das gesamte Material eingehend studiert und Zwernemanns Notizen genau gelesen. Einiges, so Triesch, hätten die beiden Ethnologen einfach weggelassen, im Bemühen darum, ein von fremden Einflüssen unverwässertes Bild der beiden untersuchten Völker zu rekonstruieren.

Zum Beispiel hätten in den 50er-Jahren die Fürsten (Peos) Pferde nicht mehr eingesetzt. Eine andere Geschichte erzählt Carl Triesch: Ein fellbesetzter Stab, den früher der Peo (Fürst) in seinem Rang als Feldherr trug, lässt er zwar noch heute vorantragen. Der Peo geht aber nicht mehr wie früher zu Fuß, sondern fährt im Toyota. Dahinter, auf einem zweiten Toyota-Pick-up, steht dann sein Thron.

Wie die Kassena und die Nuna heute in Ghana und Burkina Faso leben, das haben zwei Männer im Auftrag des Museums dieser Tage vor Ort fotografiert. Die Männer stammen beide aus dem jeweiligen Land, leben heute aber in Hamburg. Die Fotos, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben, zeigen die Realität von heute, in Farbe. Als Kontrast zu den in gewisser Weise romantischen Fotos von Zwernemann und Dittmer. „Die Konfrontation dieser beiden Herangehensweisen soll die Leute zum Nachdenken bringen, über ihr Afrikabild und über Museen“, sagt Triesch. Denn es sei nicht zulässig, „Menschen in eine Richtung zu beschränken. Zu vielen Kulturen gehört schließlich dazu, dass sie sich verändern“. Mit einer solchen Ausstellung wolle man den Besuchern „solche Brüche zeigen“. Ob der Funke dabei wirklich überspringe, das wisse man natürlich nicht. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Aus einer anderen Zeit … Ethnologische Feldforschung 1954–1956 in der westafrikanischen Savanne, 8.3.2015 - 1.2.2016. Museum für Völkerkunde Hamburg. Rothenbaumchaussee 64. www.voelkerkundemuseum.com