Der Hamburger Ethiker Prof. Heinz-Gerhard Justenhoven über das Tötungsverbot und die Rolle der Kirchen bei dem Konflikt mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“

Prof. Heinz-Gerhard Justenhoven ist Direktor des katholischen Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg. Seine Mitarbeiter und er beschäftigen sich vor allem mit den ethischen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

Hamburger Abendblatt:

Du sollst nicht töten heißt das fünfte Gebot Gottes. Kann man als Christ die deutschen Waffenlieferungen an die irakischen Kurden unterstützen, im Wissen, dass damit andere Menschen umgebracht werden? Führt das nicht unweigerlich zu einem inneren Konflikt?

Heinz-Gerhard Justenhoven:

Ich denke, Christen stehen bei jeder Art von Gewalt gegen Menschen vor dem moralischen Problem, dass zunächst ohne Wenn und Aber das Tötungsverbot gilt. Schwierig wird die ethische Abwägung in dem Fall, in dem sie sich entscheiden müssen zwischen dem Schutz des Lebens auf der einen Seite, in dem Fall der von der Miliz „Islamischer Staat“ (IS) Verfolgten, also der Kurden, Jesiden, Christen und moderaten Muslimen. Und der Frage auf der anderen Seite, wie viel Gewalt man den Verfolgern antun kann, um sie daran zu hindern, die anderen zu töten. Wenn Sie als Christ nichts tun, lassen Sie zu, dass Sie denen, denen Sie helfen könnten, keine Hilfe zukommen lassen.

Also gibt es derzeit keine Alternative zu den Waffenlieferungen?

Justenhoven:

Nein, ich halte sie für die richtige Lösung. Denn sie ermöglichen den Kurden, ihr Selbstverteidigungsrecht und ihre Schutzverantwortung, die sie gegenüber den Völkern dort vor Ort haben, wahrzunehmen. Außer der Alternative, nichts zu tun, gibt es dann nur noch die Möglichkeit: eigene Truppen hinzuschicken.

Wären eigene Truppen nicht viel konsequenter?

Justenhoven:

Der Krieg in Afghanistan hat uns gelehrt, dass eine Lösung unter Einbeziehung der regionalen Akteure vorzuziehen ist. Denn jede Intervention von außen hat den Nebengeschmack, dass eigene Interessen vertreten werden.

Hätten die Kirchen angesichts des Konfliktherdes in den arabischen Ländern nicht viel früher mahnend eingreifen können?

Justenhoven:

Kirchen können vor der zu schnellen Anwendung von Gewalt warnen, dazu gibt es nämlich eine Tendenz. Doch in Syrien hatten die Kirchen auch kein Sonderwissen. Ich hatte hier im Institut einen syrischen, orthodoxen Christen, der uns von Anfang an vorgeworfen hat, dass wir den Konflikt nicht verstehen und ihn ausschließlich aus einer westlichen Perspektive sehen. Die westlichen Kirchen waren der Meinung, dass der Aufstand der moderaten Opposition gegen die Assad-Regierung eine Fortsetzung des Arabischen Frühlings sei. Während die orthodoxen Kirchen vor Ort gesagt haben, diese Regierung beschützt uns. Was wir jetzt aktuell machen können, ist, darüber nachzudenken, wie es nach dem Konflikt weiter- gehen kann und wie man alle beteiligten Parteien mit einbeziehen kann.

Glauben Sie, dass es einen Weltfrieden geben kann?

Justenhoven:

Ja, den kann es geben. Ich glaube, dass der Einsatz für Frieden in der Welt richtig ist. Wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit funktionieren, haben wir innerhalb dieser Staaten bereits ein relativ friedliches Miteinander der Menschen. Spannend ist, ob es auf Ebene der internationalen Gemeinschaft durch ein Mehr an Recht zu einem friedlicheren Miteinander kommen kann. Ich bin überzeugt, dass wir im 20. Jahrhundert durch die Entwicklung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen, einen riesigen Schritt in diese Richtung getan haben. Das Problem, das wir haben, ist, dass ständig Staaten, die mächtig geworden sind, mit dem Völkerrecht sehr willkürlich umgehen.

Es wird häufig im Namen von Gott Krieg geführt. Stehen die Religionen dem Weltfrieden nicht eher entgegen?

Justenhoven:

Was der IS macht, ist ein ethnischer, kein religiöser Krieg. Letztlich hat in den großen monotheistischen Religionen diese Form von Missbrauch mit der Berufung auf den Namen Gottes mit Gott nichts mehr zu tun. Die Religion liefert nur den Katalysator für den Kampf um Einfluss, vielleicht sogar auch einen in den Anfängen berechtigten Kampf um politischen Partizipation. Letztlich geht es den Menschen immer darum, dass sie ökonomisch und politisch teilhaben möchten.

Was ist aus Ihrer Sicht die Aufgabe der heutigen kirchlichen Friedensbewegung?

Justenhoven:

Die Aufgabe der Kirchen ist, sich für die Stärkung der Uno und des Völkerrechts einzusetzen. Beim Konflikt mit dem IS spielt die Uno scheinbar keine Rolle, und das halte ich für einen Skandal.

Glauben Sie, dass dieser Krieg dazu beiträgt, dass sich deutsche Christen und Muslime entfremden?

Justenhoven:

Ich habe den Eindruck, dass Muslime und Christen in Deutschland eher enger zueinanderrücken und gemeinsam den IS öffentlich verurteilen. Vor Kurzem hat auf dem Gut von Albert Darboven das Friedensgebet der Religionen stattgefunden. Eine private Initiative, die öffentlich ein Zeichen setzen wollte. Davon brauchen wir mehr.

Wie kann ich mit meiner eigenen Wut oder auch Ohnmacht angesichts der Gräueltaten in Syrien und im Irak umgehen?

Justenhoven:

Zwei Bereiche können helfen. Gut ist, wenn man mehr voneinander weiß. Viel zu wenige Deutsche wissen, was der Islam ist. Deswegen hilft es, in Moscheen zu gehen, ins Gespräch mit gläubigen Muslimen zu kommen. Wir sollten auch noch viel mehr darüber diskutieren, wie es sein kann, dass sich junge Menschen aus unseren Gesellschaften radikalisieren, weil sie sich isoliert und nicht anerkannt fühlen und deswegen von hier aus nach Syrien in den Dschihad ziehen. Das wirft Fragen auf, denen wir uns stellen müssen. Auch als Einzelner kann ich was dagegen tun, indem ich Migranten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung wahrnehme und mich vielleicht auch mal um einen kümmere. So kann ich die Gesellschaft auch ein Stück weit verändern.