Der Schauspieler Rolf Becker ist kein Kirchenmitglied, aber er engagiert sich für die Gemeinde in St. Georg und christliche Flüchtlingsprojekte. Und er ist einer, der lautstark protestiert, wenn er Ungerechtigkeit sieht

Kahler Beton an der Decke, dünne graue Säulen und matte Fenster. Die Heilige Dreieinigkeitskirche in St. Georg wirkt schlicht, streng und unterkühlt. Doch gerade das mag Rolf Becker an ihr. „Ich liebe diese Kirche. Sie ist einzigartig in ihrer Form, es gibt nur noch wenige dieser Nachkriegsbauten“, schwärmt der Schauspieler und durchschreitet das hohe Kirchenschiff mit dynamischen Schritten. Er erzählt die Geschichte des ursprünglichen Bauwerks, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, zeigt in der Kapelle die Kreuzigungsgruppe aus dem 15. Jahrhundert – „ein Kleinod“ –, zitiert aus der Bibel: Fast könnte man meinen, der Pastor stände vor einem, so gut kennt der 79-Jährige sich in theologischen Belangen aus. Dabei ist Rolf Becker schon seit mehr als 50 Jahren kein Kirchenmitglied mehr. Aber er ist „seiner“ St.-Georgs-Kirche und den Pastoren dort sehr verbunden. Er wohnt ja nur einige Schritte entfernt von dem Gotteshaus, hat hier schon oft vorgelesen und engagiert sich bei der Essensausgabe der Gemeinde für Obdachlose.

Und er ist protestantisch erzogen worden, ist getauft und konfirmiert. Rolf Becker steht auch voll hinter den Zehn Geboten und den Werten von Nächstenliebe, dem Einsatz für die Armen und Schwachen, also für das, wofür das Christentum steht. Doch die Institution Kirche lehnt er ab, „weil sie nicht gegen Hitler und später in den 1960ern für die Wiederaufrüstung Deutschlands gestimmt hat“, sagt der überzeugte Kriegsgegner.

Er glaube auch nicht an einen Gott, der sein Schicksal lenke und der die höchste Instanz sei. Das würde auch nicht zu ihm passen – autoritäre Instanzen anzuerkennen. Rolf Becker ist „eine kritisch denkende Person“, wie er über sich selbst sagt. Andere würden „politisch sehr links“ sagen. Er ist einer, der sich einmischt, nachfragt, die Finger dort lautstark in die Wunde legt, wo er Ungerechtigkeit sieht. Und die sieht er in vielen Bereichen. „Bevor ich mich allerdings irgendwo engagiere und zum Protest aufrufe, informiere ich mich vor Ort“, betont er. So reiste er zum Beispiel 1999 mit einer Gruppe Gewerkschaftsmitglieder ins umkämpfte Jugoslawien, „als Protest gegen den Nato-Angriffskrieg“. Jahrelang begleitete Becker den Ex-RAF-Terroristen Christian Klar und setzte sich gemeinsam mit Kollegen für dessen Freilassung ein.

Zurzeit engagiert sich der Schauspieler für die Lampedusa-Flüchtlinge

Derzeit engagiert er sich gegen die drohende Abschiebung der Roma & Sinti und der Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg. Dazu arbeitet er eng zusammen mit Pastor Wilm von der St.-Pauli-Kirche, sucht das Gespräch mit Bischöfin Kirsten Fehrs und trat auch bei der „Nacht der Kirchen 2014“ in Reinbek für die Flüchtlinge auf. „Die Lampedusa-Flüchtlinge müssen als Gruppe anerkannt werden und eine Chance haben, sich hier zu integrieren“, fordert er.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, seine sehr strikte Meinung anzunehmen, so ist der Schauspieler doch angenehm in der Diskussion. Mit viel Humor, Herzlichkeit und gutem Allgemeinwissen bringt er seine Argumente hervor, ohne zu missionieren, aber auch ohne darauf zu achten, ob er gefällt. Denn mit seinen Aktionen polarisiert Rolf Becker. Manche Projekte hätten ihn auch das eine oder andere Schauspiel-Engagement gekostet, gibt er zu. Doch damit kann er leben.

Wer ihn und sein intensives politisches Engagement verstehen will, muss in seine Kindheit schauen. 1935 geboren, hat Rolf Becker als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sein Vater, ein Offizier, fiel 1943 in Russland. Er wuchs mit seinen jüngeren Geschwistern zunächst bei den Großeltern in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein auf. Sie gingen zur Kirche, aber Glaube spielte keine große Rolle in der Familie. Der Alltag war vom Krieg bestimmt. „Durch unsere Gegend zogen die Flüchtlingsströme, bettelnde Menschen. Ich habe die Gesichter der trauernden Frauen gesehen, deren Männer und Kinder getötet worden waren“, erzählt Becker. Seine Kindheitserlebnisse machten ihm klar, „dass so etwas nie wieder in Deutschland passieren darf“. Nach dem Krieg und der Aufdeckung des Holocaust macht er sich zur Prämisse: „Gegen jeden Weg zu protestieren, der ein Auschwitz wieder möglich machen könnte.“

Als er zehn war, schickte ihn seine Mutter zu einer befreundeten Familie nach Bremen, damit er dort das Abitur machen konnte. Seine Pflegefamilie war gebildet, aber streng und konservativ. Genauso wie das humanistische, elitäre Gymnasium, „dessen vor allem konservative und teilweise noch von Nazi-Deutschland geprägte Lehrer mich abstießen“. Den Pastor, der ihn konfirmierte, bezeichnet Becker als „dogmatischen Spießer“. Schon damals fiel es dem rebellischen Schüler schwer, sich anzupassen, zumal sich ihm als Jugendlicher eine völlig neue Welt eröffnete: die der Schauspieler und Künstler. Seit Becker 13 Jahre alt war ging er ins Theater, als Komparse durfte er an den Treffen der Schauspieler teilnehmen. Er lernte die Literatur von Camus und Sartre kennen und war fasziniert, „wie frei und respektlos die Künstler über Autoritäten und den Staat sprachen und Missstände kritisierten“.

Er wurde Schauspieler, „weil ich die Illusion hatte, dass ich mit meiner Kunst die Welt verändern kann.“ Nach der Schauspielschule in München und verschiedenen Engagements an deutschen Bühnen kam er 1971 nach Hamburg, seither seine Heimat. Er versuchte zunächst, „allzu banalen und nur zur Ablenkung angelegten Stücken“ aus dem Weg zu gehen. Schwer durchzuhalten, wenn man gleichzeitig erfolgreich sein möchte.

Sein Sohn Ben Becker feiert große Erfolge mit der „Bibel“-Tournee

Schließlich muss er eine Familie ernähren. Seine erste Ehe mit Monika Hansen wurde 1973 geschieden. Aus der Ehe gingen die Kinder Ben und Meret Becker hervor, ebenfalls bekannte Schauspieler. Seit 1980 ist Becker mit der 20 Jahre jüngeren Schauspielerin Sylvia Wempner verheiratet. Gemeinsam haben sie drei Söhne. Glaube und Kirche spielten in den Familien fast nur eine Rolle, „wenn wir mal wieder in einer Kirche auftreten“. Die Eltern sind sich einig, dass die Kinder selber entscheiden sollten, ob sie sich taufen und konfirmieren lassen. „Das hat zur Folge, dass mein Sohn Ben nun mit einer verkürzten Fassung der Bibel auf Tournee geht und große Hallen damit füllt, während ich vor kleinen Gruppen das kommunistische Manifest vorlese“, sagt Rolf Becker und muss lächeln.