Cassandra Wilson auf den Spuren von Billie Holiday

Cassandra Wilson hat noch erlebt, was Rassismus bedeutet. Die Sängerin wurde 1955 in Jackson/Mississippi geboren, tief im Süden der USA. Als kleines Mädchen musste sie im Bus hinten sitzen, Restaurants waren streng nach Schwarz und Weiß getrennt, schwarze Musiker mussten durch den Hintereingang auf die Bühne kommen, wenn sie überhaupt mit Weißen zusammenspielen durften. Wilson hat in ihren eigenen Songs und in vielen Interpretationen genau dieses Gefühl der Missachtung ausgelotet.

Wenn sie im Dezember in die Laeiszhalle kommt, hat sie eine Reihe von Songs im Programm, die Billie Holiday (1915–1959) gesungen hat. Denn das kommende Album von Wilson ist eine Hommage an diese außergewöhnliche afroamerikanische Sängerin. „Coming Forth By Day“ wird die Platte heißen. Holiday, genannt Lady Day, starb völlig verarmt und krank im Alter von nur 44Jahren. Auch sie hat unter den Entwürdigungen gelitten, denen sie als Afroamerikanerin ausgesetzt war. Oft musste sie in dunklen Räumen auf ihre Auftritte warten. Manchmal wurde ihr heller Teint mit Make-up nachgedunkelt, um dem weißen Publikum zu verdeutlichen, dass sie eine Schwarze war. Einer ihrer bekanntesten Songs ist „Strange Fruit“, in dem sie die Lynchjustiz gegenüber Schwarzen thematisiert. Auch Cassandra Wilson hat diese Nummer schon seit vielen Jahren in ihrem Repertoire.

Nach Hamburg kommt die 59 Jahre alte Sängerin mit einem Quintett, das das nötige Sentiment aufbringt, um die betörende Stimme der Bandleaderin kongenial in Szene zu setzen. Der Bassist Lonnie Plaxico ist ein Ausnahmemusiker wie der Gitarrist Brandon Ross, einer ihrer frühen Weggefährten. Ross war unter anderem als Arrangeur an der Produktion von „Blue Light ’til Dawn“ beteiligt.

Mit „Blue Light ’Til Dawn“ feierte Cassandra Wilson vor 21 Jahren den kommerziellen Durchbruch. Auch den ersten von zwei Grammys erhielt sie für das Meisterwerk, auf dem sie neben eigenen Songs auch die Kompositionen anderer Künstler aus unterschiedlichen Genres interpretierte. Van Morrisons „Tupelo Honey“ findet sich auf dem Album genauso wie Robert Johnsons Bluessongs „Come On In My Kitchen“ und „Hellhound On My Trail“, Ann Peebles Popsong „I Can’t Stand The Rain“ oder Joni Mitchells Ballade „Black Crow“. Mit dieser Platte machte Cassandra Wilson klar, dass sie in Zukunft jede stilistische Fessel abwerfen würde.

In den folgenden 20 Jahren hat die Sängerin mit der rauchigen Altstimme Blues und Bossa Nova, Pop und Funk, Swing und Rock gesungen. Den Kompositionen von Miles Davis hat sie sich ebenso gewidmet wie Songs von U 2 und Bob Dylan. Auf dem Album „New Moon Daughter“ interpretiert sie sogar „Last Train To Clarksville“, einen Pophit der Bubblegum-Band The Monkees. Zu dem Song hat sie eine besondere Beziehung: Es war die erste Single, die sie 1966 als elfjähriges Mädchen geschenkt bekam. Cassandra Wilson hat in ihrer beispiellosen Karriere ihre eigene musikalische Sprache entwickelt und immer ihren Kopf durchgesetzt. Dazu gehört auch die Rückbesinnung auf afrikanische Kulturen und die Anerkennung herausragender Leistungen innerhalb von Jazz und Blues. Die aktuelle Beschäftigung mit Billie Holiday ist nur ein weiteres Beispiel für die Ernsthaftigkeit, mit der Cassandra Wilson ihrer Kunst nachgeht.

Cassandra Wilson 1.12., 20.00, Laeiszhalle. Karten von 33,50 bis 63,50 unter T. 4132260