Mit Propst Johann Hinrich Claussen über Altersweisheit und den Musiker Leonhard Cohen

Wie sehr viele andere Menschen habe auch ich in diesem Jahr das halbe Jahrhundert meiner Existenz gefeiert. Eine Reihe von Überraschungen hat mir geholfen, diese Hürde fröhlich zu nehmen. Meine Freunde haben mir nämlich ihr jeweiliges Lieblingsbuch oder ihre Lieblingsmusik geschenkt. So bekam ich die Gelegenheit, mich nach Jahren wieder mit Leonhard Cohen zu befassen. Ein befreundetes Paar hatte mir die Aufnahme eines Konzerts in London mitgebracht, das er vor zehn Jahren – mit 70 – gegeben hatte. Als ich hörte, wie frisch und gereift er seine Lieder sang, wurde meine Angst vor dem Alter leiser.

Dafür meldete sich der Theologe in mir mit lebhaftem Interesse. Ich hatte gar nicht gewusst, wie religiös diese Musik ist. Sie speist sich aus der Sprache des Alten Testaments und der Symbolwelt der jüdischen Mystik. Auch christliche Motive sind zu hören. Doch das Religiöse kommt nicht direkt oder gar schroff daher, sondern geheimnisvoll, dabei stets verbunden mit menschlicher Wärme und mit erotischer Glut.

Meine Freunde hatten mir auch noch eine kluge Biografie geschenkt. Ich staunte über diese seltsame Karriere, die mit ihren Höhen und Tiefen eine seltene Dauer besitzt. Lange hat Cohen übrigens pausiert. Mit etwa 60 Jahren zog er sich zurück, um bei seinem Zen-Meister zu meditieren. Jahre später schreckten schlimme Nachrichten ihn aus der Stille auf. Seine Managerin hatte ihm alles gestohlen: seine gesamten Ersparnisse, sogar die Rechte an vielen Liedern. Das zwang ihn zurück auf die Bühne.

Manchmal hat Böses auch gute Folgen. Ohne Not hätte Cohen sein Londoner Konzert wohl kaum gegeben. Über seine Managerin sagte er übrigens dies: „Es bereitet mir kein Vergnügen, meine ehemalige Freundin so vor Gericht zu sehen. Ich bete darum, dass sie in der Weisheit ihrer Religion Zuflucht findet, dass ein Geist des Verstehens ihr Herz bekehrt – vom Hass zum Bedauern, vom Zorn zur Freundlichkeit, vom tödlichen Gift der Rache zu den demütigen Taten der Besserung.“ Was für ein Gebet ist das – jüdisch, christlich oder Zen-buddhistisch? Eigentlich ist das egal. In einer Welt, die auch von Religionskonflikten erschüttert wird, ist dies ein Zeugnis, das Hoffnung schenkt und auf das man mit Cohens berühmtesten Lied antworten möchte: „Halleluja“.