Die Reformation war ein multimediales Ereignis – und zwar von Anfang an

Hat die Reformation nur das gesprochene und das geschriebene Wort in den Mittelpunkt gestellt, das Medium Bild aber grundsätzlich abgelehnt? „Reformation – Bild und Bibel“, das Thema der Lutherdekade für das Jahr 2015, gibt Anlass, sich mit Blick auf die Rolle der Bilder in der Reformation neu zu orientieren und landläufige Missverständnisse auszuräumen.

Anders als in oberdeutschen und schweizerischen Zentren der Reformation hat es im Einzugsbereich der Wittenberger Reformation nur vereinzelte Bilderstürme gegeben. Wo solche stattfanden, wie etwa 1522 in Wittenberg, während sich Luther auf der Wartburg aufhielt, gerieten die Bilderstürmer in massive Kritik. Nicht die äußeren Bilder, so Luther, müsse man bekämpfen, sondern die verfehlten Glaubensüberzeugungen und inneren Bilder in den Köpfen und Herzen der Menschen.

Die Reformation führte nicht nur zu tiefgreifenden gesellschaftlichen und kirchlichen Neuerungen. Sie war auch mit Blick auf die damals klassischen und innovativen Medien ein Umbruch. Sämtliche zur Verfügung stehenden Medien wurden genutzt, um reformatorisches Gedankengut zu verbreiten. Besondere Bedeutung kam dem jungen Buchdruck zu. Die Produktion und der Vertrieb von Druckschriften, vor allem auch Flugblättern, schuf eine mediale Öffentlichkeit und trug zur Verbreitung der Botschaft von der Rechtfertigung des Menschen allein aus Glauben entscheidend bei.

Doch war die Reformation von Anfang an ein multimediales Ereignis. Sie bediente sich neben dem gesprochenen, geschriebenen und gedruckten Wort von Anfang an auch der Bildmedien, nicht zuletzt der Druckgrafik in Bibeldrucken und Flugblättern, der Musik und des Gesangs. Luther zufolge kann man dem Wort Gottes, das allein den Glauben hervorbringt und ewiges Heil stiftet, nur gerecht werden, wenn man „davon singet und saget, klinget und prediget, schreibet und lieset, malet und zeichnet“. In Lübeck erzwang die Bevölkerung 1529 geradezu die Einführung der Reformation, indem sie die liturgische Ordnung sprengte und in den Gottesdiensten nicht abließ, das neue reformatorische Liedgut zu singen.

Mit Blick auf die Bilder forderte Luther sowohl seitens der Produzenten als auch der Rezipienten kritische Medienkompetenz ein. Geistliche Bildwerke, so seine Forderung, müssten dem Inhalt der Heiligen Schrift entsprechen. Wo sie dies nicht täten, solle man sie in einem politisch geordneten Verfahren entfernen. Man könne die in früheren Zeiten mit Anbetung bedachten Marien- und Heiligenbilder aber auch einfach hängen lassen. Denn wenn die falschen Bilder aus den Herzen entfernt seien, könnten auch die äußeren Bilder keinen Schaden mehr anrichten, da sie nicht mehr angebetet würden.

Dieser Ansatz führte paradoxerweise dazu, dass in lutherischen Kirchenräumen bis heute weitaus mehr mittelalterliche Bildwerke, insbesondere auch Marienaltäre und Heiligenbilder erhalten blieben als in katholischen Kirchen. Doch nicht nur dies lässt sich in zahlreichen Kirchen bis heute beobachten. Vielmehr ist in ihnen, wo sie nicht im Zuge der Entfernung, Übertünchung und Zerstörung von Bildern im 18. Jahrhundert sowie im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verloren gingen, zugleich sichtbar: Die Reformation setzte einen massiven Produktionsschub von geistlichen Bildwerken in Gang. Dies schlug sich nicht nur in den Printmedien nieder, sondern auch in Kirchenbauten: an Kanzeln, Altären, Orgelprospekten, Emporen. Die Bebilderung von Hausfassaden mit biblischen Motiven hatte Luther selbst angeregt. Und sie machte vor den Interieurs profaner Gebäude nicht Halt, wie sich an Truhen, Schränken und Kachelöfen zeigt. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die „Gesetz- und Gnadebilder“. Ein Beispiel ist in der Kunsthalle zu sehen. Es wurde von dem Hamburger Maler und Cranach-Schüler Franz Timmermann 1540 geschaffen und zeigt den sündigen Menschen, der sich im Glauben dem gekreuzigten Christus zuwendet, bei dem allein die Sündenvergebung zu finden ist.

Mit Blick auf die Frage nach der aktuellen Relevanz der Reformation in der nachpostmodernen Gesellschaft schwanken die derzeit kontrovers diskutierten Deutungsangebote zwischen gegenwartsferner Musealisierung und vorschneller Aktualisierung. Kern der reformatorischen Lehre ist die Botschaft, dass der Mensch allein um seines Glaubens willen und nicht seiner Werke wegen von Gott angenommen und zum ewigen Leben geführt wird. Niemand wird bezweifeln wollen, dass dieser Position eine enorm entlastende, ja tröstliche Funktion zukommt angesichts der heute alle Bereiche des Lebens bestimmenden Ökonomisierung und der nicht selten schädlichen Szenarien des Leistungsdrucks.

Doch ein weiterer aktueller Impuls der Reformation kommt hinzu: Wer heute, zumal in einer Medienmetropole wie Hamburg, im schulischen, universitären und politischen Bereich mit der Konstituierung und Stärkung von Medienkompetenz zu tun hat, kommt um die historische Befassung mit Medienrevolutionen (auch der Reformation) nicht herum. Medienwissenschaftler haben herausgefunden, dass die Einübung der Erfassung von Bildprogrammen in Räumen – und speziell in Kirchenräumen – eine effiziente Schulung der räumlichen, perspektivischen Sehfähigkeit mit sich bringt. Solche Kompetenz lässt sich am Flachbildschirm nicht gewinnen.

Univ.-Prof. Dr. Johann Anselm Steiger ist Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg und Sprecher des Graduiertenkollegs „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit“.