Die Reformation läutete mit der Buchdruckkunst einen medialen Wandel ein

„Die hohen Wohltaten der Buchdruckerei sind mit Worten nicht auszusprechen. Durch sie wird die Heilige Schrift in allen Zungen und Sprachen eröffnet und ausgebreitet, durch sie werden alle Künste und Wissenschaften erhalten, gemehrt und auf unsere Nachkommen fortgepflanzt.“ In seinen Tischreden findet sich dieses Zitat von Martin Luther. In ihnen zeigt sich die immense Bedeutung der Buchdruckkunst für die reformatorische Lehre.

Als Luther mit seinen 95 Thesen am 31. Oktober 1517 an die Öffentlichkeit trat, existiert die Buchdrucktechnik von Johannes Gutenberg erst sechs Jahrzehnte. Martin Luther ist früh die Bedeutung des neuen Verfahrens für die massenhafte Verbreitung seiner Ideen klar geworden. Er steht für den medialen Umbruch in dieser Zeit. Durch seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche wurde er zum ersten Bestsellerautor der Geschichte, lange bevor solche Listen überhaupt entstanden sind.

Erst nach der Veröffentlichung der Wittenberger Thesen fängt ein großes mediales Umdenken an, und es kommt in der Folge zu einer enormen Publikationswelle. Luthers „Sermon von Ablass und Gnade“, 1518 zum ersten Mal veröffentlicht, wird bis 1521 mindestens 26-mal neu aufgelegt. Luthers Schriften, in Auflagen von mehreren Tausend Exemplaren gedruckt, werden den Händlern aus den Händen gerissen, die „Adelsschrift“ aus dem Jahr 1520 ist innerhalb von zwei Wochen vergriffen. Luther setzt damals auf sogenannte Flugschriften. Auf ihnen verbreitet er seine Predigten, in denen er Kirche und Klerus kritisiert und die Reformation vorantreibt. Sie sind ein einfaches und vergleichsweise schnelles Medium. Unterstützt werden die Texte zusätzlich durch Bildszenen, die die Thematiken visuell auf den Punkt bringen. Titelholzschnitte auf den bis zu 90 Seiten starken Schriften sprechen die Käufer an. Vor allem Laien nutzen Handzettel, um in Karikaturen ihren Spott über Klerus und Ordensangehörige unters Volk zu bringen.

Luther erreichte mit seiner Übersetzung Tausende von Lesern

Zur Zeit der Reformation konnten nur etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben. Deshalb haben Predigten und Gesänge in den Kirchen für die Reformatoren ein wichtige Funktion. Zusätzlich bilden sich Lesekreise, in denen Analphabeten die Flugschriften von Lesekundigen vorgetragen bekommen. Es gründen sich auch Gesprächskreise, in denen Luthers Ideen und seine Kritik an der Obrigkeit diskutiert und so massenhaft verbreitet werden. Durch diesen Einsatz der neuen medialen Möglichkeiten bringen Luther und andere Reformatoren wie Andreas Bodenstein oder Philipp Melanchthon das bisherige Kirchensystem ins Wanken. Die altgläubige Kirche hatte dieser Dynamik nur wenig entgegenzusetzen. Auch Ketzerprozesse sind nicht mehr so einfach möglich, weil die Bevölkerung umfassend informiert ist und die Kritik der Reformatoren teilt. Martin Luther wird zum wichtigsten Wortführer der Reformation, aber erst durch die mediale Vielfalt erreicht er weite Teile der Bevölkerung, sodass aus dem Wittenberger Kreis von kritischen Theologen eine große Reformationsbewegung entstehen kann.

Von enormer Bedeutung wird auch die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Luther benutzt die originalen hebräischen und griechischen Texte. Zwar gibt es auch eine mittelhochdeutsche Übersetzung, doch die ist schwer verständlich. Durch seine Übersetzung in volkstümliches Deutsch erreicht Luther Tausende von Lesern. Die 3000 Exemplare des Neuen Testaments, das 1522 erscheint, sind innerhalb von drei Monaten ausverkauft. 1534 erscheint die erste komplette Luther-Bibel mit altem und neuem Testament. Gleichzeitig wird die Sprache des Reformators zur allgemein gültigen Norm. Ein Drittel der gesamten deutschsprachigen Buchproduktion in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entfällt auf seine Schriften, die geschätzte Auflage der hochdeutschen Bibelausgabe beziffert sich auf eine halbe Million Exemplare, das Wort Gottes wird zum Bestseller.

Martin Luther und seine Mitstreiter nutzen die Möglichkeiten von Sprache und Medien optimal für ihre Kritik. Zur Zeit der Reformation befindet sich die europäische Welt in einem medialen Umbruch, der sich in seiner Bedeutung mit der Gegenwart vergleichen lässt.

Wenn Luther heute leben würde, hätte er einen Facebook-Account und würde seine Ansichten über soziale Netzwerke verbreiten. Die 95 Thesen zu Wittenberg würden in Sekundenschnelle die letzten Winkel der Welt erreichen – via Twitter.