Der Neuzugang aus Brasilien steht vor seinem Bundesliga-Debüt. Überzeugt er, könnte sein Konkurrent ausgedient haben

Genau fünf Bundesligaspiele hat er beim HSV verpasst. In 134 von 140 möglichen Partien stand er von Beginn an auf dem Platz. Wenn es in den vergangenen vier Jahren eine Konstante beim HSV gab, dann hieß sie Heiko Westermann. Niemand im aktuellen Kader der Hamburger kommt auf annähernd so viele Einsatzminuten für seinen Club wie der kopfballstarke Verteidiger. Nur ein einziges Mal musste Westermann eine Gelbsperre absitzen, an einem anderen Wochenende zwang ihn eine Grippe zum Zuschauen. Lediglich die Knieverletzung in der vergangenen Saison setzte den 27-fachen Nationalspieler für drei Partien in Folge außer Gefecht. „Er ist ein absolutes Vorbild. Leute wie er, das sind Krieger“, sagte der ehemalige Sportchef Oliver Kreuzer einst über Westermann, der beim Relegations-Hinspiel gegen Greuther Fürth durch einen Infekt geschwächt das bisher einzige Mal beim HSV auf der Bank Platz nehmen musste.

Doch diesem Krieger droht am Sonntag bei Hannover 96 (17.30 Uhr) nun erstmals in einem regulären Bundesligaspiel die Rolle des Ersatzspielers. „Es tut Heiko gut, nicht mehr gesetzt zu sein“, hatte Trainer Mirko Slomka schon während der Vorbereitung gesagt und eigentlich Gojko Kacar als Innenverteidiger favorisiert, bis sich dieser am Knie verletzte und ausfiel. Nun droht Neuzugang Cléber dem Dauerbrenner den Rang abzulaufen. „Ich bin bereit, stehe zur Verfügung, wenn der Trainer auf mich zählt“, sagte der Brasilianer am Dienstag.

Slomka steht nach der indiskutablen 0:3-Niederlage gegen Paderborn unter Druck, Veränderungen vorzunehmen. Dabei war Westermann an diesem Desaster nicht der Hauptschuldige, haarsträubende Fehler leisteten sich andere. Sein Nebenmann Johan Djourou agierte bisher nicht souveräner als der Ex-Schalker, doch der Schweizer, der beim 0:2 seines Nationalteams gegen England am Montag 90 Minuten durchspielte, wurde von seinem Coach vor der Saison zum Abwehrchef und Vizekapitän auserkoren und dürfte damit weiter gesetzt sein.

Cléber präsentierte sich bisher bissig und willig, demonstrierte im Testspiel gegen Neumünster zudem seine enorme Sprungkraft. „Ein sehr dynamischer Verteidiger“, sagte Slomka nach seinen ersten Eindrücken. Doch der Einsatz Clébers ist trotz der nunmehr zweiwöchigen Eingewöhnungszeit mit einem Risiko verbunden, vor allem aufgrund Problemen in der Verständigung. „Ich kann mittlerweile die wichtigsten, fußballtypischen Begriffe auf Deutsch verstehen wie Abseits, Einwurf, Rausrücken“, sagt Cléber zwar – doch in der voll besetzten HDI-Arena in Hannover kann es schon mal lauter werden und zu Missverständnissen kommen. Ansonsten befürchtet der Neuzugang keine Anpassungsschwierigkeiten. „Der Fußball hier unterscheidet sich gar nicht so groß von dem in Brasilien. Das Training ist intensiver, die Fans sind mehr dabei. Doch dafür bin ich gerüstet.“ Ein wenig müsse er sein Spiel aber schon umstellen: In seiner Heimat reiche es aus zu verteidigen, hier in Deutschland würde auch von den Abwehrspielern erwartet, am Aufbauspiel teilzunehmen.

Sollte Clébers zu erwartendes Debüt in Hannover erfolgreich verlaufen, könnte Westermann das erste Mal in seiner HSV-Karriere seinen Stammplatz verlieren. Im Sommer 2010 von Trainer Armin Veh als Innenverteidiger verpflichtet, stellten ihn viele seiner folgenden Trainer immer mal wieder als Außenverteidiger oder sogar im defensiven Mittelfeld auf, um dann doch zu dem Schluss zu kommen, dass er in der Abwehrzentrale am besten aufgehoben sei. Slomka plante ihn in der Vorbereitung eher als Back-up für Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier ein. Doch der steht nicht zur Debatte.

Dabei war die Einstellung Westermanns schon immer absolut vorbildlich. Wehwehchen haben ihn selten interessiert, er hat sich für den HSV aufgeopfert. „Pro Saison macht man vielleicht drei, vier Spiele, ohne Schmerzen zu haben“, erklärte der 31-Jährige unlängst. Mit seinem Kampfgeist baute er seine Mitspieler auf, wenn mal wieder wenig gelingen wollte. Als ihm in der Rückrunde der letzten Saison gegen Bayer Leverkusen das 2:1-Siegtor mit einem fulminanten Volleyschuss gelang, ließ ein Fan spontan T-Shirts drucken mit der Aufschrift „#HW4“, eine Anspielung auf die Twitter-Abkürzung für Portugals Cristiano Ronaldo – seitdem ein geflügelter Spitzname des gebürtigen Unterfranken.

Doch es gibt auch die andere Seite Westermanns. Seine technischen Fertigkeiten sind überschaubar, hätten die Fürther seinen Lapsus kurz vor dem Ende des Relegations-Rückspiels ausgenutzt, würde der HSV nun in der Zweiten Liga spielen. Der Vertrag des Defensivspielers läuft im kommenden Sommer aus, eine Verlängerung steht derzeit nicht zur Debatte. „Aktuell ist das nicht geplant. Wir wollen erst sehen, was unsere Spieler zu leisten imstande sind“, hatte Vorstandsboss Dietmar Beiersdorfer gesagt. Was Westermann zu leisten imstande ist und was nicht, hat er beim HSV lange gezeigt. Doch diese Ära könnte nun vorbei sein.