Mit Propst Johann Hinrich Claussen über Religionsgemeinschaften und Religionskrieg

Immer wenn ich an meinem Computer sitze und nichts Böses denkend „Religionsgemeinschaft“ schreibe, was gelegentlich vorkommt, versieht mein treusorgendes Rechtschreibprogramm dieses ganz wertfreie Wort mit einer blauen Wellenlinie und schlägt mir vor, statt seiner „Religionskrieg“ zu schreiben. Ich habe mich oft gefragt, was mir das sagen will. Vertritt mein Computer die Auffassung, dass die Bildung einer Religionsgemeinschaft zwingend in den Religionskrieg führt? Bisher war ich schlicht zu faul, mein Rechtschreibprogramm eines Besseren zu belehren, und habe darüber bloß gelächelt. Jetzt aber hat diese Frage eine kaum erträgliche Schärfe gewonnen.

Die Nachrichten über die Verfolgung von Christen im Irak, aber auch von Jesiden, machen einen sprachlos vor Grauen, Mitleid, Ohnmacht und Zorn. Natürlich muss man fragen, was an dem Terror islamistischer Mörderbanden religiös ist und was nur der Maskierung von Machtstreben und Gewaltlust dient. Und natürlich muss man bedenken, dass dieser akute Wahnsinn eine lange Vorgeschichte hat, an der auch vorgeblich christliche Mächte ihren Anteil hatten. Was aber könnte ein Beitrag der Religionsgemeinschaften dafür sein, diesen Religionskrieg zu befrieden? Sollen Kirchenleute für militärische Einsätze werben oder vor ihnen warnen? Herr Gauck als Bundespräsident und ehemaliger Theologe sowie Frau Käßmann als protestantische Religionsprominente und ehemalige Bischöfin haben das eine beziehungsweise andere getan – in jeweils wenig überzeugender Weise.

Besser wäre es wohl, das Dilemma zu beschreiben, in dem wir stehen: Wir im Westen beobachten eine Katastrophe im Nahen Osten, die uns überrascht hat, die wir nicht wirklich verstehen, gegen die aber etwas getan werden muss. Wobei allerdings jedes militärische Tun und Nicht-Tun neue Probleme schafft und in neue Schuld führt. Zudem sollten wir an die Verfolgten denken, für sie beten und ihnen Hilfe zukommen lassen – in ihrer Heimat oder den Geflohenen bei uns. Wenn wir dies gemeinsam als Christen, Muslime, Juden und Jesiden täten – dann würden wir die Gleichung Religionsgemeinschaft gleich Religionskrieg widerlegen. Solange das nicht der Fall ist, lasse ich mein Rechtschreibprogramm unverändert.