„La Belle Hélène“ im Stil der 60er-Jahre

Jaja, die alten Griechen. Bei denen ging es längst nicht so ordentlich und sittsam zu, wie es Gustav Schwab in seinen „Sagen des klassischen Altertums“ Generationen von Schülern gern weisgemacht hätte. Letztlich dachten doch all die Helden und Götter immer nur an das eine. Selbst der berühmte Kampf um Troja entzündete sich an gekränkter männlicher Eitelkeit: Kaum war der König Menelaos mal verreist, spannte ihm ein gewisser Paris sogleich die Gattin aus. Und schon hauten sich alle gegenseitig die Schädel ein.

Offenbach dreht die Verführungsszene genüsslich ins Frivole

Aber war die schöne Helena, die sich ohne ihren Gemahl erotisch entsetzlich langweilen musste – und mit ihm wohl auch –, nicht überhaupt unschuldig an dem ganzen Chaos? Der Komponist Jacques Offenbach jedenfalls dreht in seiner Opéra bouffe „La Belle Hélène“ (deutsch „Die schöne Helena“) die schicksalhafte Verführungsszene genüsslich ins Frivole. Bei ihm träumt Helena nur, dass Paris gerade ihr Schlafgemach betrete. Und im Traum ist ja wohl alles erlaubt. Der Haken dabei: Sie glaubt zwar, dass sie träume. Aber da irrt sie.

Sind die Ihnen jetzt zu kompliziert, diese Brechungen? Dann ziehen Sie sich warm an, wenn zur Saisoneröffnung der Staatsoper Renaud Doucet Offenbachs Erfolgsstück herausbringt. Natürlich in Originalsprache, weshalb die Kontrahenten Ménélas (Peter Galliard) und Pâris (Jun-Sang Han) heißen. Die gefeierte amerikanische Mezzosopranistin Jennifer Larmore gibt mit der Titelrolle ihr Debüt an der Staatsoper. Am Pult steht Gerrit Prießnitz.

Dass sie Partitur und Libretto jede Pointe ablauschen, haben Doucet und sein Ausstatter André Barbe an der Dammtorstraße vor drei Jahren schon vorgeführt, als sie Rossinis „La Cenerentola“ als Heiratsrevue auf die Bühne brachten. Die Handlung der „Hélène“ verlegen die beiden auf eine Ägäis-Kreuzfahrt in den 60er-Jahren. Man trägt also Minirock und grelle Muster; die Antike kommt ins Spiel, als sich die Ehefrau an einer Adonis-Statue den Kopf aufschlägt und in ihrer Ohnmacht träumt, sie wäre Helena von Troja. So drehen die beiden das Verwirrspiel mit dem Traum noch ein bisschen weiter. Denn ob Helena selber so ganz an ihre Unschuld glaubt, das lässt Doucet hintersinnig offen.

Wie brisant das Stück im bigotten Paris des Zweiten Kaiserreichs wirken musste, können wir uns heute kaum noch vorstellen. Dass sich eine Frau ihre sexuelle Freiheit nahm, war schon anstößig genug. Offenbach ging aber unter dem Deckmantel seiner süffigen, schwungvollen Melodien noch weiter. Wenn Piccolo und Fagott die Helden Achill und Agamemnon im Staccato als täppische Stotterer zeichnen, dann nimmt der Komponist damit mal eben die damals herrschende Klasse aufs Korn. Und auch die Untergebenen dürfen ihrer Vergnügungssucht nachgeben, also das Bürgertum, das im echten Leben unter Napoleon III. nicht viel zu lachen hatte. Da sind wir doch heute ein ganzes Stück weiter.

„La Belle Hélène“ („Die schöne Helena“) 20.9., 18.00, Staatsoper (Premiere). Karten (7,- bis 176,-): T. 356868. Weitere Vorstellungen: 24., 28.9., 2.10., jeweils 19.30; 5.10., 15.00; 8.10., 19.30