Leif Ove Andsnes spürt dem revolutionär Neuen in Beethovens Klavierkonzerten nach

Wenn heutzutage Klavierkonzerte von Beethoven auf dem Programm stehen, ist niemand mehr überrascht oder gar irritiert. Im Gegenteil. Die fünf Gattungsbeiträge des deutschen Komponisten sind längst zu guten Bekannten geworden: Von Zeit zu Zeit hören wir die Alten gern.

Diese Haltung wird dem Geist der Musik allerdings kaum gerecht. Denn zur Entstehungszeit waren die Werke des Herrn Beethoven aus Bonn noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sie markieren den Aufbruch in eine neue Epoche und sind damit ein perfekter Auftakt für eine neue Saison. Die Elbphilharmonie Konzerte beginnen ihre Spielzeit mit einer zweiteiligen „Beethoven Journey“. Leif Ove Andsnes als Reiseleiter navigiert das Mahler Chamber Orchestra vom Flügel aus durch das mit gezielten Provokationen verminte Gelände der fünf Konzerte.

Schon in seinem ersten Klavierkonzert op. 15 verdichtete der Komponist den damals üblichen Konversationston zu einem Feuerwerk an Motiven und Pointen. Die Hörer überforderte er damit. Nach der Uraufführung im Wiener Burgtheater anno 1800 berichtete ein Rezensent von einem „neuen, mit chromatischen Gängen und enharmonischen Verwechselungen zuweilen bis zur Bizarrerie ausgestatteten Fortepianokonzert.“ Begeisterung klingt anders.

Das früher entstandene, aber erst als Nummer zwei veröffentlichte Konzert op. 19 wandelt noch etwas braver auf den Spuren der Vorgänger Haydn und Mozart. Gleichwohl treten die besonderen Eigenheiten des Komponisten auch hier schon stellenweise deutlich zutage, etwa in den Schluckauf-Synkopen des Finales, aus denen unverkennbar Beethovens Humor spricht.

Mit dem dritten Konzert stößt er dann das Tor zu einer neuen Dimension auf: Beethoven verwebt das Klavier noch stärker mit dem Orchesterklang und schafft so den Typus des „sinfonischen“ Konzerts, in dem sich Solo und Tutti als Dialogpartner gegenüber stehen. Dabei nutzt der Komponist die Fortschritte des Klavierbaus, die das dynamische Spektrum des Instruments erheblich erweitern. Das Klavierkonzert verlässt die Salons und erobert die großen Säle. Ein wichtiger Umbruch.

Beethoven bekennt sich in seiner Musik zu den Idealen des Humanismus

Auch im vierten Konzert von 1806 gibt der Neuerer Beethoven keine Ruhe: Er beginnt das Stück nicht, wie bis dahin üblich, mit einer Einleitung des Orchesters, sondern lässt das Klavier allein beginnen. Das war damals unerhört neu. Und nicht die einzige zukunftsweisende Idee. Der Kontrast zwischen Träumerei und zerklüfteten Rhythmen weist bereits auf die Romantik voraus.

Durch das fünfte und letzte Konzert weht dann unverkennbar ein revolutionärer Geist. Und zwar im wörtlichen Sinne: Das Werk entstand 1809, als Beethovens Wahlheimat Wien von Napoleons Truppen umstellt war. In der heroischen Wucht, die der Musik innewohnt, formuliert der Komponist ein Bekenntnis zu den Idealen des Humanismus – und gegen den Größenwahn des französischen Eroberers.

Die Suche nach neuen Wegen, das stete Ringen um den eigenen Willen und der Kampf um ein würdiges Dasein: All diese Kernthemen des Menschseins sind in die Klavierkonzerte einkomponiert. Das ist Leif Ove Andsnes bewusst. Der norwegische Tastenstar zählt auch deshalb zu den größten Pianisten der Gegenwart, weil er mit seinen Interpretationen den ideellen Gehalt der Werke erschließt. Über drei Jahre erstreckt sich seine „Beethoven Journey“, gemeinsam mit dem Mahler Chamber Orchestra führt er die Konzerte in den Musikmetropolen Europas auf. Auch wenn sie in Hamburg Station machen, werden die Musiker die Hörer mit den scheinbar so vertrauten Stücken manches Mal überraschen und irritieren. Weil es zum Wesen der Musik gehört.

„The Beethoven Journey“ 24.9., 20.00, und 30.9., 19.30, Laeiszhalle. Tickets zu 9,- bis 65,- unter T. 35766666