Seit 25 Jahren sind die Deichtorhallen eines der wichtigsten internationalen Zentren für bildende Kunst des 20. Jahrhunderts. Wie die aktuelle Kunst in zwei ehemalige Markthallen kam.

Auch Ausstellungshäuser für Gegenwartskunst kommen irgendwann in die Jahre. Seit 25 Jahren sind die Deichtorhallen ein Zentrum für internationale Gegenwartskunst und Fotografie. Angesichts des rasanten städtebaulichen Wandels, den wir derzeit erleben, weiß kaum noch jemand, dass sie einmal ein gigantischer Markt waren. Nachdem der Hopfenmarkt am Nikolaifleet und der Meßberg am Oberhafen zu klein geworden waren, wurde 1899 von der Stadt der „Deichtormarkt“ beschlossen und am 1. Oktober 1911 eröffnet. Er wies eine stolze Marktfläche von 29.000 Quadratmetern auf. Historische Fotoaufnahmen zeigen noch die später verlegte Deichtorstraße, die zwischen den beiden Hallen hindurchführte.

Die Nord- und die Südhalle wurden unter Federführung der Ingenieure Erik Unger-Nyborg und Johann Friedrich Ludwig Ferdinand Sperber errichtet. Die Hallen waren auch architektonisch zukunftsweisend mit einer offenliegenden Eisenkonstruktion, vergleichbar dem Grundriss von Kirchenbauten, und einer Verbindung von Jugendstil und Reformarchitektur. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Markt in die größeren Stahlbetonhallen in Hammerbrook um. Die Deichtormarkthallen wurden 1963 bis 1984 als Großblumenmarkt genutzt, danach standen sie jahrelang leer und drohten zu verfallen. Ihre Rettung ist wie so häufig dem Engagement von Hamburger Bürgern zu verdanken. Der Industrielle Kurt A. Körber übernahm mit seiner gleichnamigen Stiftung die Restaurierung der Hallen und gestaltete sie in elf Monaten unter der Leitung des Berliner Architekten Josef Paul Kleihues zu einem der größten Ausstellungszentren Europas um. Das war die Geburtsstunde der Deichtorhallen Hamburg GmbH mit dem Ziel der Pflege der bildenden Kunst des 20. und des 21. Jahrhunderts.

Pressesprecherin Angelika Leu-Barthel ist eine Mitarbeiterin der ersten Stunde. Acht Angestellte saßen damals in den gläsernen Büros mit Blick von oben in die heutigen Hallen der Photographie. Mittlerweile arbeiten hier 18 Mitarbeiter. Am 9. November 1989 eröffneten die Deichtorhallen ihren Ausstellungsbetrieb unter der Leitung von Erik Berganus mit der Ausstellung „Einleuchten“ von Harald Szeemann. Bereits 1990 wurde Berganus von Interimsleiter Frank Barth abgelöst, bevor Zdenek Felix ab 1991 für 13 Jahre das Profil der Deichtorhallen als internationale Kunststätte entscheidend prägen sollte.

Künstler aus aller Welt schätzen die Deichtorhallen vor allem deshalb, weil sie hier ihre Schauen ortsspezifisch entwickeln können. „Viele unserer Ausstellungen wären woanders nicht möglich gewesen“, so Leu-Barthel. Bekannte monografische Ausstellungen waren in den ersten Jahren 1992 Imi Knoebel, 1993 Andy Warhol, 1994 Keith Haring, 1995 Roy Lichtenstein und Cindy Sherman, 1996 Joan Miró und Louise Bourgeoise und 1999 Martin Kippenberger gewidmet. Später folgten 2001 Wolfgang Tillmanns, 2006 Jonathan Meese, 2011 Gilbert & George und 2012 Anselm Reyle. Die erfolgreichste Ausstellung bis heute war Antony Gormleys „Horizon Field Hamburg“ im Frühjahr 2012. Der Eintritt in die gigantische Installation war auf Wunsch des britischen Künstlers frei. 120.000 Menschen betraten die schwebende Fläche, darunter ganze FKK-Clubs, die dort ihre Hüllen fallen ließen, Paare, die für Hochzeitsfotos posierten, und Rock-’n’-Roll-Vereine, die einige dezente Sprünge ausführten. Auch die Schau mit Fotografien von Annie Leibovitz war mit 80.000 Besuchern sehr erfolgreich. Sie wurde in Kombination mit Elaine Sturtewant und Anna und Bernhard Blume gezeigt. „Immer wieder gab es Verbindungen, die überraschten“, so Angelika Leu-Barthel. Wolfgang Tillmans wurde mit Elisabeth Payton kombiniert. Die Besucher entdeckten auf diese Weise Neues. Manches lief auch weniger gut, 1994 etwa die Malerei von Albert Oehlen. „Vielleicht haben wir ihn zu früh gezeigt“, so Leu-Barthel. Viele Künstler starteten nach ihrer Schau in den Deichtorhallen richtig durch, etwa Jonathan Meese oder Andreas Gursky. Manche Vorhaben ließen sich nicht realisieren, darunter eine Anselm-Kiefer-Schau mit Bleiobjekten. Vor allem unter Felix’ Direktion etablierten sich die Deichtorhallen als Ort, der nicht auf Gastkuratoren zurückgriff. Felix verstand sich als echter Ausstellungsmacher. Auch der aktuelle Direktor Dirk Luckow steht in dieser Tradition.

Mittlerweile bestehen die Deichtorhallen aus drei Häusern. 2005 wurde auf Basis der fotografischen Sammlung F. C. Gundlachs als Dauerleihgabe das „Haus der Photographie“ gegründet. Zum elften Mal werden zurzeit im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg die Nominierten und Gewinner der LeadAwards vorgestellt: die besten Fotoserien, Zeitschriften-Beiträge, Werbeideen und Websites sind zu sehen. Im Januar 2011 kam die Sammlung Falckenberg mit einem eigenen Haus und 6000 Quadratmetern Ausstellungsfläche in Hamburg-Harburg hinzu. Neben den monografischen Ausstellungen umfasst das Programm Themen- und Gruppenausstellungen wie etwa „Wunder“ 2011 sowie große internationale Sammlungen wie die Julia Stoschek Collection.

Derzeit ist die Halle für internationale Gegenwartskunst eine gigantische Baustelle. Für 13 Millionen Euro aus dem Sanierungsfonds 2020 der Freien und Hansestadt Hamburg sowie rund eine Million Euro aus dem Klimafonds der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt wird sie als bedeutendes Denkmal der Industriearchitektur bis zum Herbst 2015 grundlegend modernisiert. Daher werden die Leitung der Deichtorhallen seit 2009/10, der Intendant Dirk Luckow und der kaufmännische Direktor Bert Antonius Kaufmann, und ihr Team das Jubiläum in Etappen rund um die Wiedereröffnung feiern.

Seit 1989 haben mehr als 30 Millionen Besucher 200 Ausstellungen mit Werken von über 1900 Künstlern gesehen. Viele weitere werden folgen. In diesem Sinne: auf die nächsten 25 Jahre.