Wer die Vergangenheit verstehen will, muss ihre verborgenen Zeugnisse zeigen. Zahlreiche Ausstellungen laden dazu sein.

Für den Laien sind es nur Steine, Mauerreste, Bodenverfärbungen. Und mitunter ist es sogar für Experten außerordentlich kompliziert, die im Boden entdeckten Spuren zu lesen und richtig zu interpretieren. 15 Monate lang hatten die Fachleute des Archäologischen Museums 2005/06 auf dem Hamburger Domplatz nach der Keimzelle der Hansestadt gesucht. Sie hatten gegraben, gemessen, Funde gesichert, analysiert und fotografiert. Aber erst nach jahrelanger Auswertung der Grabungsergebnisse und einer intensiven Diskussion, an der sich alle maßgeblichen Wissenschaftler beteiligten, konnte Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, zu Jahresbeginn 2014 mitteilen, dass sein Team die seit Langem gesuchte Ur-Hamburg tatsächlich entdeckt hatte. Wenn man bisher davon ausgegangen war, dass die Hammaburg etwa um 815 errichtet worden war, um mit der Ankunft des Ansgar im Jahr 832 noch größere Bedeutung zu erlangen, wurde nun klar, dass die Burganlage deutlich älter ist und bereits im achten Jahrhundert entstand. Wie es den Wissenschaftlern gelang, dem ältesten Kapitel der Hamburger Geschichte auf die Spur zu kommen, ist das Thema einer großen Ausstellung, die das Archäologische Museum Hamburg ab Oktober zeigt. „Mythos Hammaburg“ heißt die Schau, in der es einerseits um Methoden der archäologischen Spurensuche geht, in der aber auch kostbare Zeugnisse der Stadtgeschichte zu bewundern sind. Dazu zählt zum Beispiel ein Exemplar der „Vita Anskarii“, der zwischen 865 und 876 entstandenen Biografie des Erzbischofs Ansgar, in der eine der frühesten Erwähnungen Hamburgs zu finden ist.

Wie sich das alltägliche Leben in der frühmittelalterlichen Hammaburg abspielte, können die Archäologen anhand der Befunde zwar rekonstruieren, bildliche Zeugnisse davon gibt es jedoch nicht. Dass uns die Bewohner der antiken Stadt Pompeji, die im Jahr 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuv verschüttet wurde, sehr viel näher erscheinen, verdanken wir ihrer bereits hoch entwickelten Kunst. Als Wissenschaftler die von einer dicken Asche- und Bimssteinschicht bedeckten Ruinen der einst so blühenden antiken Stadt freilegten, stießen sie auf eine Fülle von großartigen Wandmalereien, Bronzefiguren, Reliefs und Porträts. Dargestellt sind Götter, die freilich oft allzu menschlich erscheinen, man sieht Liebespaare, Alltags- und Gartenszenen, sodass das Leben der Schönen und Reichen, die damals in Pompeji den Ton angaben, ganz konkret vorstellbar wird. Einer der größten Paläste der Stadt ist unter dem Namen „Haus des Kitharaspielers“ in die Kunst- und Kulturgeschichte eingegangen. Dieser Prachtbau, der sich mit seinen Säulenhallen und Gärten auf fast 3000 Quadratmeter erstreckte, steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Pompeji. Götter, Mythen, Menschen“, die ab Ende September im Bucerius Kunst Forum gezeigt wird. Zu sehen sind etwa 80 Leihgaben, die aus dem Archäologischen Nationalmuseum Neapel stammen. So tragisch der Untergang der Stadt auch war, für die Nachwelt erwies sich die Naturkatstrophe als Glücksfall, denn dadurch blieben die Spuren der Geschichte so gut erhalten, dass sie uns den Alltag so anschaulich wie in einem Bilderbuch vor Augen führen.

Dagegen muss man schon sehr genau hinsehen, um in Hamburgs historischem Pflaster überhaupt noch einige jener Steine zu entdecken, in die die Buchstaben H und A eingemeißelt wurden. H steht für Hamburg und A für Altona, denn die Steine markieren die ehemalige Grenze zwischen Hamburg und Altona, der nach Kopenhagen einst zweitgrößten Stadt im dänischen Gesamtstaat. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 hat das damals zu Preußen gehörende Altona seine Unabhängigkeit verloren, nicht aber seine historische Identität. Wie viele Spuren der heutige Hamburger Bezirk in seiner äußerst bewegten Geschichte hinterlassen hat, zeigt die große Jubiläumsausstellung „350 Jahre Altona. Von der Verleihung der Stadtrechte bis zur Neuen Mitte“, die noch bis Oktober 2015 im Altonaer Museum gezeigt wird.

Häufig sind die Spuren, die Menschen in ihrem Leben hinterlassen, schon bald verwischt und verweht. Wer sich aber darum bemüht, kann ihnen nachspüren und sie nach langer Zeit wieder freilegen. Mitunter tauchen sie auch zufällig wieder auf, in Form von Briefen, Dokumenten und anderen Lebenszeugnissen, die lange unbeachtet auf Dachböden oder in Kisten und Kästen lagerten. Das Auswanderermuseum BallinStadt bemüht sich um die Lebenszeugnisse jener mehr als fünf Millionen Menschen, die von Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts über den Hamburger Hafen zu einem neuen Leben jenseits ihrer Heimat aufgebrochen sind. „Die Zahl interessierter Menschen, die zu uns kommen und nicht nur etwas über ihre eigene oder die Geschichte ihrer Vorfahren herausfinden, sondern diese auch erzählen wollen, ist enorm“, sagt Volker Reimers, Geschäftsführer der BallinStadt, die die Geschichten und Erinnerungsstücke der Öffentlichkeit immer wieder in Sonderausstellungen vorstellt und zugänglich macht.

Mit gleich drei Ausstellungen widmet sich das Museum für Völkerkunde derzeit einer Kultur- und Lebensform, die in der realen Gefahr schwebt, schon bald spurlos zu verschwinden. Es geht um die Tibeter, von denen etwa die Hälfte noch immer als Nomaden leben. Mit einer brachialen Maßnahme will die chinesische Regierung die Menschen zur Sesshaftigkeit zwingen: Bis Ende nächsten Jahres sollen alle Nomaden in „sozialistischen Dörfern“ zwangsangesiedelt werden. Die Ausstellung „Tibet – Nomaden in Not“ zeigt die Bilder mehrerer Fotografen, die den Alltag, die Traditionen, aber auch die gegenwärtigen Bedrohungen des nomadischen Lebens dokumentieren. Ergänzt wird die Schau durch Ritualobjekte und Alltagsgegenstände, die aus der Sammlung des Museums stammen. Die beiden anderen Ausstellungen zeigen gleichfalls Fotografien, und zwar von Frédéric Lemale, der fast vier Jahre bei den Nomaden in Tibet verbrachte, und von Oliver Adam. Er zeigt eindrucksvolle Porträts tibetischer Nonnen, die vor der Verfolgung durch chinesische Behörden ins Exil geflohen sind.

Das Internationale Maritime Museum wendet sich noch einmal dem Geschehen von 1914-18 zu und widmet sich dabei den persönlichen Schicksalen von Menschen im U-Boot-Krieg. Gemeinsam mit Partnern in England haben Museumsmitarbeiter nach Lebenszeugnissen von U-Boot-Besatzungen gesucht und sind auf bewegende Geschichten gestoßen. Zum Beispiel auf das Schicksal des deutschen U-Boot-Kapitäns Raimund Weissbach, der in englische Gefangenschaft geriet. Da ihm jede Kontaktaufnahme mit seiner Familie untersagt war, versteckte er eine Nachricht an seine Frau in einem ausgehöhlten Stück Rasierseife, das über das Rote Kreuz in der Schweiz den Weg zu seiner Familie nach Deutschland fand.

Nicht um Kriegs-, sondern um ein besonderes Kapitel der Kunstgeschichte geht es in einer großen Ausstellung, die Ende Oktober in den Deichtorhallen eröffnet wird. „Augen Auf! 100 Jahre Leica“ heißt die Schau, die jene Spuren aufzeigt, die die legendäre Kamera im Lauf von 100 Jahren in der Geschichte der Fotografie hinterlassen hat. Entscheidend ist hier das Format, denn das Kleinbild hat Amateuren wie professionellen Fotografen völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Die Miniaturisierung der Technik führte zu ihrer deutlich leichteren Handhabung, die es den Fotografen möglich machte, schneller und spontaner zu agieren. Welchen enormen Umbruch die Markteinführung der Leica nach sich zog, wird anhand von etwa 400 Fotografien dokumentiert.

Mit einem düsteren Kapitel der Spurensuche beschäftigt sich schließlich das Museum für Kunst und Gewerbe, das als erstes Museum für Angewandte Kunst 2010 begonnen hat, die Provenienz (Herkunft) seiner Sammlung systematisch nach Raubkunst zu durchsuchen. Dabei geht es um jene Objekte, die Menschen während der Zeit des NS-Regimes geraubt wurden und die auf verschiedenen Wegen ins Museum gelangt sind. Inzwischen ist die Provenienzforschung zu einer Spezialdisziplin der Kunstgeschichte geworden. Anhand zahlreicher „Objektbiografien“ zeigt die Ausstellung, wie schwer es oft ist, Raubkunst zu entdecken, um sie im besten Fall den rechtmäßigen Erben zurückerstatten zu können. Die Suche nach den Spuren der Geschichte ist gerade auf diesem Feld oft besonders aufwendig, weil diese nicht nur verweht, sondern oft auch bewusst verwischt worden sind.

350 Jahre Altona 20.08.2014 bis 11.10.2015, Altonaer Museum, www.altonaermuseum.de

Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie 24.10.2014 bis 11.01.2015, Haus der Photographie, www.deichtorhallen.de

Raubkunst? Provenienzforschung im MKG 12.09.2014 bis 1.11.2015, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, www.mkg-hamburg.de

Tief unten – Der U-Bootkrieg 1914–1918 16.10. bis 16.12., Internationales Maritimes Museum Hamburg, www.imm-hamburg.de