Ost oder West, Dresden oder Hamburg? 1974, als sich der Geburtstag von Caspar David Friedrich zum 200. Mal jährt, herrscht noch der Kalte Krieg, und eine Ausstellungskooperation ist fast undenkbar. Doch dann geschieht das fast Unmögliche.

Mehr als 2000 Menschen drängen sich am Eröffnungsabend in der Hamburger Kunsthalle und bewundern viele Bilder, die sie bisher nur aus Büchern und von Reproduktionen gekannt haben. An Superlativen wird an diesem Abend nicht gespart, „Die Zeit“ schreibt später gar von einem „Jahrhundertereignis“. Und tatsächlich hätte man noch wenige Jahre zuvor eine solche Kooperation über den Eisernen Vorhang hinweg kaum für möglich gehalten. Die Entspannungspolitik der 1970er-Jahre und eine offenere Kulturpolitik in der DDR haben es möglich gemacht, dass Caspar David Friedrichs 200. Geburtstag in Hamburg und später auch in Dresden mit zwei korrespondierenden Ausstellungen gefeiert wird, ein bis dahin einzigartiges deutsch-deutsches Kulturereignis.

Seit Jahren hat Kunsthallendirektor Werner Hofmann auf diese Ausstellung hingearbeitet, die ohne eine enge Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden so nicht möglich gewesen wäre. Neben Hamburg und Berlin besitzt die Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden den größten Bestand an Friedrich-Werken, darunter so wichtige Bilder wie den „Tetschner Altar“. Der bedeutendste Maler der deutschen Romantik, den man in Deutschland erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt hat, ist zu dieser Zeit auch international enorm angesagt: 1972 hatte die Londoner Tate schon eine große und sehr erfolgreiche Friedrich-Ausstellung mit Leihgaben aus Ost und West gezeigt: 58 Ölgemälde und 52 Zeichnungen begeisterten damals das britische Publikum. Und ausgerechnet in London kam es auch zu deutsch-deutschen Gesprächen, die anlässlich Friedrichs 200. Geburtstags für 1974 ein noch größeres Ausstellungsprojekt denkbar erscheinen ließen.

In seinem Ausstellungsbericht aus London zitierte der „Spiegel“ Dresdens Galeriedirektor Joachim Ulitzsch, der damals davon träumte, die Londoner Friedrich-Schau noch zu übertrumpfen, und zwar mit einer Hamburg-Dresdner Koproduktion, die er als „Weltsensation“ bezeichnete.

Und diese Sensation sollte sich vor 40 Jahren tatsächlich ereignen: Am 14. September 1974 eröffnet Werner Hofmann in der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung der Superlative, die den schlichten Titel „Caspar David Friedrich“ trägt. Zu sehen sind 95 Gemälde und 137 grafische Blätter, das entspricht etwa zwei Dritteln des erhaltenen Bestandes. Als Leihgaben kommen 83 Gemälde von Friedrich ins Haus, davon allein 22 Bilder aus der DDR und zehn aus der Sowjetunion. „Friedrich ist kein Geheimtipp für Eingeweihte: Die Faszination, die seit einigen Jahren von seiner Kunst ausgeht, zieht immer größere Kreise“, schreibt Werner Hofmann im Katalog und fährt später fort: „Man kann ohne Übertreibung und Selbstlob sagen, dass unser Überblick das Maximum des Erreichbaren umfasst. Eine gewichtigere Ausstellung wäre weder heute noch zu einem späteren Zeitpunkt realisierbar.“

Das Publikum sieht es ähnlich, nie zuvor hat die Hamburger Kunsthalle einen solchen Ansturm erlebt. Schon vor Kassenöffnung bilden sich Schlangen, die sich zeitweise vom Haupteingang bis weit auf die Ernst-Merck-Brücke hinziehen. Die Gesamtkosten der Ausstellung betragen 400.000 Mark, was zwar aus heutiger Sicht bescheiden wirkt, aber für damalige Verhältnisse ein stattlicher Betrag ist. Die Tickets kosten zwei, ermäßigt eine Mark. Mit 220.000 Besuchern erzielt die Kunsthalle bis zum 3. November 1974 ein Rekordergebnis. Aber es geht nicht nur um Masse, sondern auch um einen neuen Blick auf den wichtigsten deutschen Romantiker, um „das genaue Kennenlernen Friedrichs, mithin auch für die Überprüfung unseres bisherigen Wissenstandes“, schreibt Hoffmann. Wesentlich zum wissenschaftlichen Mehrwert der Ausstellung trägt der in West-Berlin tätige Kunsthistoriker Helmut Börsch-Supan bei, der sowohl den Hamburger als auch den Dresdner Ausstellungsmachern das von ihm erarbeitete Œuvre-Verzeichnis noch vor dessen Publikation zugänglich macht.

Drei Wochen nach Ende der Hamburger Ausstellung wird im Dresdner Albertinum die Schau „Caspar David Friedrich und sein Kreis“ eröffnet. Sie hat einen etwas veränderten Akzent, weil sie Friedrichs Werk direkt in den Kontext der Dresdner Landschaftsmalerei stellt. Dabei geht es um den Einfluss auf Zeitgenossen wie Georg Friedrich Kersting, Carl Gustav Carus, Johann Christian Dahl oder Ernst Ferdinand Oehme. Dass nicht alle Friedrich-Bilder in Dresden gezeigt werden können, hat aber auch politische Gründe: Einige Gemälde, darunter Friedrichs Hauptwerke „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“, wurden nicht nach Dresden ausgeliehen, weil sie zum Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehörten, auf den auch die DDR Ansprüche erhob.

Solche politischen Probleme waren fast vergessen, als die Kunsthalle 2006 noch einmal eine große Friedrich-Schau veranstaltete. Hubertus Gaßner, seit 2006 Direktor des größten Hamburger Kunstmuseums, konzipierte die Schau gemeinsam mit seiner früheren Wirkungsstätte, dem Essener Museum Folkwang, und stellte sie unter den Titel „Die Erfindung der Romantik“. Zu sehen waren etwa 70 Gemälde sowie 100 Arbeiten aus Papier, die wiederum aus allen wichtigen Sammlungen kamen, u. a. aus Berlin, Dresden und St.Petersburg. Mit rund 325.000 Besuchern stellte die Schau nicht nur die längst legendäre Jubiläumsausstellung von 1974 in den Schatten, sondern markierte ein nie wieder erreichtes Rekordergebnis.