Sieben Meter hoch sind die Hareicha-Figuren, die die große Halle des Völkerkundemuseums mit der Aura uralter Kulte aufladen. In ihre länglichen Köpfe passt ein aufrecht stehender Mensch, und ihre Mäuler sind unheilvoll große Klappen. Wenn das Volk der Baining in Papua-Neuguinea seine Maskenfeste feierte, wurden sie von starken Tänzern auf dem Kopf getragen, unterstützt von Helfern. Es sei das erste Menschenpaar, das die Eingeborenen dort symbolisch anbeteten, schwärmten vor Jahrzehnten die katholischen Missionare vor Ort. Adam und Eva gewissermaßen, und die Menschen seien so ergriffen, dass sie Tränen in den Augen hätten. Das ist alles Unsinn, sagt eine Frau, die es wissen muss: Die promovierte Ethnologin Antje Kelm, die jahrzehntelang am Museum gearbeitet hat, spricht die Umgangssprache Tok pisin, kennt das Volk der Baining und die Nachbarvölker Tolai und Sulka wie kein zweiter Europäer, weil sie seit ihrer Pensionierung häufig dort hingereist ist, um mit ihnen Gespräche zu führen – die Fotos der Masken aus Hamburg im Gepäck.

Von ihnen erfuhr sie, dass die Maskenfiguren eigentlich böse, menschenfressende Geister verkörpern. Die Baining, die an dem Fest mit den Feuertänzen teilnehmen, weinen nicht vor Rührung, sondern vor Angst. Denn wenn die Geister zornig werden, können sie die Funktion eines Richters übernehmen und sogar Menschen, die die Gemeinschaft eines Verbrechens bezichtigt, in den Tod schicken. Antje Kelm, die das alles herausbekommen hat, fährt mithilfe zweier Hamburger Stiftungen immer wieder in die Region, hat sich dadurch das Vertrauen von Stammesältesten, Clanchefs und den Hüterinnen eines weiblichen Geheimbundes erworben, in dem uraltes Wissen über Schwangerschaft, Geburt und Verhütung weitergegeben wird.

Was die Indigenen ihr über die wahre Bedeutung der Masken erzählt haben, überträgt sie konsequent in alle Texte und Archiv-Materialien des Museums, doch ihr Wissen zieht noch weitere Kreise. Antje Kelm ist zum Beispiel in stetigem Kontakt mit den Wissenschaftlern des Pariser Quai Branly Museums, außerdem Mitglied in der „Pacific Arts Association“, bei deren Treffen sie Fachvorträge hält.

Inzwischen ist die Feldforscherin weit über siebzig Jahre alt, aber „diese Arbeit hält mich gesund“, so Antje Kelm. Es geht ihr schon lange nicht mehr nur darum, die Forschungslücken zu schließen. Sondern sie will den von der westlichen Zivilisation zunehmend beeinflussten Stämmen wieder ein Gefühl für die eigene kulturelle Identität vermitteln und sie darin stärken, ihre bildnerischen Traditionen, zum Beispiel der Maskengestaltung, an die nächsten Generationen weiterzugeben: „Die Kunst ist die Seele dieser Völker.“

Die gebürtige Dresdnerin Antje Kelm, Jahrgang 1937, studierte Ethnologie, Germanistik und Geografie in Köln, Bonn und Lima/ Peru. Nach der Promotion über altperuanische Mythologie wurde sie Referentin für Lateinamerika bei der Deutschen Stiftung für Internationale Entwicklung. 1969/70 leistete sie ethnologische Feldforschung in Papua-Neuguinea und Bolivien, anschließend war sie Forschungsstipendiatin der DFG. Später leitete sie u a. den Museumsdienst und die Südsee-Abteilung des Museums für Völkerkunde Hamburg, dessen Senior Curator sie heute ist.

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