Nur 52 Stunden brauchten die eleganten blau lackierten Waggons auf ihrer Strecke von St. Petersburg nach Paris. Seit 1896 raste der komfortable Nord-Express quer durch ein Europa, das nun immer mehr zusammenzurücken schien. Wer von Hamburg in die französische Metropole reiste, erreichte den seit 1899 täglich verkehrenden Luxuszug in Berlin oder Hannover. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs stand ganz Europa im Bann des technischen Fortschritts. Dampfkraft, Elektrizität, Telegrafie, Automobile, Luftschiffe und die ersten Flugzeuge faszinierten die Menschen auf dem Alten Kontinent, der sich zu jener Zeit ganz jung und dynamisch gab. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten entwickelten sich viele Städte zu Metropolen, 1912 überschritt die Einwohnerzahl in Hamburg erstmals die Millionengrenze.

Aber das Maß aller Dinge war Paris, das sich innerhalb von kurzer Zeit in eine moderne Großstadt verwandelt hatte, mit breiten Boulevards und eleganten Cafés, mit Hotelpalästen und Bahnhöfen, immer neuen Galerien und Museen. Und diese neue Ära, die später Belle Époque genannt werden sollte, war auch eine Blütezeit der Künstler, die völlig neue Wege gingen. Mehrere Ausstellungen in Hamburger Museen und Ausstellungshäusern beschäftigen sich mit der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit des frühen 20. Jahrhunderts, die in diesem Sommer besonders im Fokus der Öffentlichkeit steht, weil sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt.

Mit „C’est la vie. Das Paris von Daumier und Toulouse-Lautrec“ stellt die Kunsthalle die Werke zweier besonders prägender Künstler der Belle Époque einander gegenüber. Henri Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier bedienten sich beide gern der Technik der Lithografie für Szenen, die die vibrierende und inspirierende Atmosphäre der Metropole meisterhaft wiedergeben. Das geschah durchaus auch mit satirischem Blick, so zeigen die Blätter aus dem Milieu der Theater und Cabarets, Salons und Galerien nicht nur die elegante Fassade, sondern üben auch Kritik an der Saturiertheit des großstädtischen Bürgertums jener Zeit.

Auch in Hamburg war die Atmosphäre jener Zeit kaum anders. Am Jungfernstieg und auf den neuen städtischen Boulevards ging es ums Sehen und Gesehenwerden. Dass das Attentat von Sarajevo, dem am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger und dessen Gattin zum Opfer gefallen waren, auch ihr Schicksal bestimmen würde, kam den gut gekleideten Hanseaten kaum in den Sinn, als sie vier Tage später nach Winterhude pilgerten: Der Hamburger Stadtpark, der an diesem 1. Juli 1914 feierlich eröffnet wurde, war kein Refugium des gehobenen Bürgertums, sondern stand ausdrücklich allen Bevölkerungsgruppen offen. Dieser Anspruch lag den Planungen zugrunde, für die Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher und der Landschaftsarchitekt Fritz Sperber gemeinsam verantwortlich zeichneten. Als Volkspark war die innerstädtische Gartenanlage, die in den folgenden Jahren noch vergrößert wurde, eine Pionierleistung. „Park Pioniere“ heißt daher auch der Titel einer großen Ausstellung, mit der das Hamburg Museum an die 100-jährige Geschichte dieses Volksparks erinnert. In der Schau, die selbst wie ein Parkspaziergang inszeniert ist, geht es einerseits um die historischen Aspekte, um Planung und Realisierung, um die Bauten, Einrichtungen und Angebote, aber auch um die persönlichen Erinnerungen von Menschen, die den Stadtpark in den vergangenen Jahrzehnten auf unterschiedliche Weise genutzt und belebt haben.

Dass die heitere Ahnungslosigkeit der Menschen bei der Eröffnung des Hamburger Stadtparks für die Atmosphäre unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht untypisch war, zeigt die Ausstellung „Krieg und Propaganda. 14/18“, mit der sich das Museum für Kunst und Gewerbe dem historischen Datum zuwendet. Wie reagieren Menschen, die eben noch von den grenzüberschreitenden Möglichkeiten des technischen Fortschritts begeistert waren, auf die Gefahren eines nahenden Krieges? Welche medialen Strategien setzen die späteren Kriegsparteien ein, um die jeweilige Bevölkerung auf den militärischen Konflikt einzustimmen? Ziehen wirklich alle begeistert in einen Krieg, an dessen Berechtigung kaum jemand ernsthaft zu zweifeln scheint? Mit mehr als 400 Exponaten, zu denen Alltagsgegenstände wie Kinderspielzeug, aber auch Plakate, Postkarten, Fotografien und Briefe gehören, zeigt die Schau, mit welchen Methoden Menschen dazu gebracht wurden, sich in den Dienst einer verhängnisvollen Sache zu stellen. Eines der interessantesten Stücke kommt als Leihgabe des Altonaer Museums in die Ausstellung. Es ist das von dem Bildhauer Otto Wessel gefertigte hölzerne Standbild des „Isern Hinnerk“. Ein knappes Jahr nach Kriegsbeginn wurde die Figur, die an den als Kriegsherrn erfolgreichen Grafen Heinrich II. von Holstein (ca. 1317–1384) erinnert, in der Grünanlage des Altonaer Bahnhofsvorplatzes enthüllt. Die Bürger waren aufgefordert, eiserne, silbern- oder goldfarbene Nägel zum Preis von 50 Pfennigen bis zu 100 Reichsmark zu erwerben und in die Figur einzuschlagen. Damit sollte einerseits die Verbundenheit mit den an den Fronten kämpfenden Soldaten zum Ausdruck gebracht werden, vor allem diente die Aktion jedoch der Kriegsfinanzierung.

Zu Beginn des Kriegs herrschte in allen beteiligten Ländern Begeisterung. Es waren nur wenige Künstler und Intellektuelle, die sich der Illusion eines gerechten Krieges, der von einem schnellen Sieg gekrönt werden würde, entziehen konnten. Insofern vertrat Ernst Barlach eine unter seinen Künstlerkollegen weit verbreitete Haltung, als er im Herbst 1914 an seinen Vetter Karl schrieb: „Alles in allem bin ich glücklich, diese Zeit nicht verschlafen zu haben. Für mein Empfinden ist es eine Erlösung von den ewigen Ich-Sorgen des Individuums, also eine Weitung und Höhung des Volkes.“ Aber die Euphorie hielt nicht lange, bald schon beobachtete er das Kriegsgeschehen mit wachsender Skepsis. Da er selbst nicht an die Front musste, konnte er den Krieg noch als „kosmisches Ereignis“ betrachten, wurde aber durch die Schreckensmeldungen aus den Schützengräben zunehmend ernüchtert. Anders als etwa sein Künstlerkollege Otto Dix, dessen schonungslose Darstellung der Kriegswirklichkeit im Frühjahr Thema einer Kabinettausstellung in der Kunsthalle war, verzichtete Barlach auf eine direkte Darstellung der sinnlosen Grausamkeit des Tötens, Leidens und Sterbens der Frontsoldaten. Eine Ausstellung im Ernst Barlach Haus mit Arbeiten wie „Krieg in Ostpreußen“, „Massengrab“ oder „Gefangener Russe“ zeigt, dass es ihm eher darum ging, mit stilisierten, überzeitlich anmutenden Figuren auf die „Misere der Zeit“ hinzuweisen. Dennoch gebraucht Ernst Barlach, der später vom „Entsetzen über das Ganze dieser Jahre“ schreibt, bereits den Begriff der Weltkatastrophe.

Dabei hatten viele Künstler, einen „Weltenbrand“ als reinigenden Prozess geradezu herbeigesehnt. Expressionistische Maler wie August Macke und Franz Marc hatten sich 1914 begeistert an die Front gemeldet. Auch Ernst Ludwig Kirchner, Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Brücke“, meldete sich als Kriegsfreiwilliger. Im Frühjahr 1915 wurde er eingezogen, erlitt aber schon nach einigen Monaten einen Nervenzusammenbruch, sodass ihm der Fronteinsatz erspart blieb. Gesundheitlich schwer angeschlagen, zog er sich nach Davos zurück. Unter dem Titel „Kirchner. Das expressionistische Experiment“ zeigt das Bucerius Kunst Forum, wie der Künstler mit dem Medium der Druckgrafik völlig neue Ausdrucksformen entwickelte. Auch wenn Kirchner nicht unmittelbar auf den Krieg reagiert, ist der expressive Gestus seiner Kunst, die Verbindung von groben Formen, fließenden Linien und grellem Kolorit Ausdruck eines radikalen Aufbruchs, der eine Welt widerspiegelt, die aus den Fugen geraten schien.

Ab August 1914 fuhren keine Luxuszüge mehr quer durch Europa, sondern Truppentransporter an die Front. Ungeachtet ihrer Auflehnung gegen die Konventionen von Gesellschaft und Kunst hatten auch die Expressionisten bis dahin an Technik und Fortschritt geglaubt. Doch mit der Realität der Schützengräben, mit dem Gaskrieg und den Materialschlachten war der zunächst verklärte Weltenbrand für sie auf unvorstellbare Weise zum Ernstfall geworden.

Krieg und Propaganda 14/18

20.6. - 2.11.

Museum für Kunst und Gewerbe

www.mkg-hamburg.de

C’est la vie – Das Paris von Daumier und Toulouse-Lautrec

bis 3.8.

Hamburger Kunsthalle

www.hamburger-kunsthalle.de

Park Pioniere

13.6.2014 - 23.2.2015

Hamburgmuseum

www.hamburgmuseum.de

Unter dem Mordmond: Ernst Barlach sieht den Ersten Weltkrieg

29.6. - 21.9.

Ernst Barlach Haus

www.barlach-haus.de

Kirchner. Das expressionistische Experiment

29.5. - 7.9.

Bucerius Kunst Forum

www.buceriuskunstforum.de