Susanne Zemke und Susan Weichenthal über die Probleme, aber auch Möglichkeiten für Außenseiter, zurück in die Gesellschaft zu finden

Susanne Zemke arbeitet als Diplom-Psychologin bei der Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen des Erzbistums Hamburg. Sie berät Menschen in schwierigen Lebenslagen. Susan Weichenthal ist Geschäftsführerin der Evangelischen Auslandsberatung. Sie hilft vor allem Menschen, die aus EU-Staaten nach Hamburg kommen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Hamburger Abendblatt:

Wann ist man voll integriertes Mitglied der Gesellschaft?

Susan Weichenthal:

Wenn man berufstätig ist oder eine Funktion innerhalb der Familie oder in seinem Umfeld hat. Ein Schulabschluss ist heute sehr wichtig und stellt etwas dar.

Susanne Zemke:

Es muss ein Mindestmaß an existenzieller Sicherheit vorhanden sein und das Gefühl, sich zugehörig zu fühlen.

Wer sind die Außenseiter?

Weichenthal:

Menschen, die auf das Hilfssystem in Deutschland angewiesen sind. Leute, die durch Schicksalsschläge wie Tod oder Trennung an den Rand geraten und sich nicht mehr verstanden fühlen. Langzeitarbeitslose, die keine Arbeit mehr finden und in einen Teufelskreis geraten: Ihre Ehe geht kaputt, vielleicht kommen Alkoholprobleme dazu, in kürzester Zeit gehören sie nicht mehr dazu. Vor allem Menschen, die an sich zweifeln und keine stabile emotionale Bindung zu sich selber haben, geraten schnell ins Abseits.

Zemke:

Zu uns kommen Menschen, die seelisch leiden. Nach Umbrüchen, Depressionen, Trauma, Burn-out, wo äußerlich keine Veränderung sichtbar ist, die sich aber subjektiv aus dem System rausgeschossen fühlen.

Früher galten Menschen, die von Sozialhilfe leben, als Außenseiter, inzwischen scheint Hartz IV eine normale Lebensform zu sein ...

Weichenthal:

Inzwischen gibt es Wohngebiete, in denen überwiegend Menschen von Hartz IV leben, manche in dritter Generation. Das ist auch das Manko dieses Hilfssystems, dass die Versorgung mit Geld wichtiger ist als Schulungsmaßnahmen. Diese Menschen sollten unterstützt werden, die eigenen Fähigkeiten zu nutzen, und sich bemühen, selber klarzukommen. Der Staat müsste mehr Hilfe zur Selbsthilfe geben, damit diese Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft kommen.

Zemke:

Da kann Kirche auch helfen, nicht nur durch Beratung, sondern indem man diesen Menschen vermittelt, dass sie erwünscht sind, dass Verschiedenartigkeit und auch Scheitern sein darf, aber dass das nicht das Letzte ist, was es gibt, sondern dass es Wege hinaus gibt.

Wie schwer ist es, vom Rand wieder in die Mitte der Gesellschaft zu kommen?

Weichenthal:

Sehr schwer. Denn wir besetzen Personen am Rande der Gesellschaft mit negativen Eigenschaften. Unsere Gesellschaft stigmatisiert sehr schnell zum Beispiel Ex-Häftlinge, die dieses Stigma nicht mehr loswerden. Gerade für diese Gruppe gibt es kaum Hilfe bei der Resozialisierung, sie werden oft entlassen ohne Absprachen, wie es weitergehen soll. Und sie haben es besonders schwer auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, weil sie ganz unten in der Hierarchie der Anerkennung stehen. Auch der Obdachlose, der sesshaft geworden ist und viel erreicht hat, hat es bei der Integration und vor allem bei Vorstellungsgesprächen schwer. Wenige Arbeitgeber geben solchen Menschen eine zweite Chance, die jeder verdient.

Zemke:

Ich denke, man kann das so pauschal nicht sagen. In einigen Unternehmen findet gute Integration statt, wenn jemand zum Beispiel trockener Alkoholiker ist. Auch das Diakonie-Projekt „Hintz&Kunzt“ gibt ehemaligen Wohnungslosen eine Chance, wieder Fuß zu fassen. Wer zurück in die Gesellschaft will, braucht eine Wohnung und eine Qualifizierung zu einer Arbeit. Man muss sich ein soziales Netz suchen, eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe finden. Das Problem ist, dass viele am Rande der Gesellschaft große Scham für ihre Situation empfinden, sich als Versager fühlen. Sie brauchen ihre Würde zurück, da können wir als Beratungsstelle helfen und ermutigen.

Welche Aufgabe hat Kirche bei der Integration von Außenseitern?

Weichenthal:

Sie füllt viele wichtige Lücken. Ich arbeite eng mit dem Diakonischen Werk zusammen. Kirche steckt sehr viel Geld in Hilfsprojekte, die meiner Meinung nach auch staatlich gefördert werden sollten. Zum Beispiel die Obdachlosenbetreuung organisieren fast nur die Caritas und die Diakonie. Der Staat ruht sich da schon auf Kosten der Kirche aus.

Zemke:

Aber Kirche hat auch den Auftrag, jedem Menschen zu vermitteln, du bist gewollt. Es wäre schlimm, wenn die Kirche sich aus diesen Bereichen rausziehen würde.