Jahrzehnte nach der Komposition wird Fredric Krolls „Der scharlachrote Buchstabe“ in Hamburg uraufgeführt

Es war einmal ein junger Mann von 15 Jahren. Der verliebte sich in den Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ von Nathaniel Hawthorne. Und zwar so heftig, dass er sofort beschloss, eine Oper zu schreiben. Er vertonte die Geschichte über das Schicksal der Ehebrecherin Hester Prynne im puritanischen Amerika mit Klängen, die er sich am Klavier erdachte – und komponierte ein abendfüllendes Stück in vier Akten. Das schlummerte jahrzehntelang in der Schublade, bis endlich eine gute Fee namens Fabian Dobler kam und die Partitur aus ihrem Dornröschenschlaf erweckte.

Das klingt wie ein Märchen. Ist aber tatsächlich eine Kurzfassung der realen Vorgeschichte zur Uraufführung von Fredric Krolls „Der scharlachrote Buchstabe“ in der Hamburger Kammeroper. Kroll, ein 69-jähriger Herr mit schütterem Haar und leiser Stimme, begegnete dem Hawthorne-Roman während des Schulunterrichts in den USA, wo er in den 60er-Jahren aufwuchs. Der Stoff bannte ihn sofort. „Als Pubertierender, der vom Erwachen seiner eigenen Sexualität überfordert war, konnte ich die Schuldgefühle des jungen Pfarrers Arthur Dimmesdale sehr gut nachempfinden. So wie er nicht bereit ist, sich als Ehebrecher zu bekennen, war auch ich nicht in der Lage, zu meinen Neigungen zu stehen. Außerdem habe ich mich auch mit dem missgestalteten Ehemann identifiziert, weil ich mich damals selber als unattraktiv empfand“, erzählt Fredric Kroll.

Die Inspiration dazu, dieses Stück Weltliteratur in Töne zu kleiden, kam Kroll jedoch durch eine vermeintliche Nebenfigur. „Die siebenjährige Tochter von Hester Prynne darf nicht mit den Gleichaltrigen spielen, weil sie ein uneheliches Kind ist. Sie weiß nicht einmal, wer ihr Vater ist, und trägt deshalb eine große Traurigkeit in sich. Als sie mit ihrer Mutter im Wald spazieren geht, projiziert sie ihre Gefühle auf einen Bach und fragt ihn: Warum bist du so traurig? Beim Lesen dieser Szene habe ich sofort eine Melodie gehört.“

Wenn Fredric Kroll Melodie sagt, dann meint er das auch. Der Autodidakt, der sein kompositorisches Handwerk beim Durchspielen seiner Lieblingsopern am Flügel erlernte, setzt ganz auf ein romantisches Schönheitsideal. Mit den Entwicklungen der Avantgarde hat sein Stück nichts zu tun, wie der Komponist bekräftigt. „Ich glaube fest an die Wiedergeburt der tonalen Musik!“

Als Klangideal schwebt ihm dabei eine Mischung aus Puccini und Tschaikowsky vor, inklusive der üppigen Orchesterbesetzung. Die so zu kompensieren, dass sie für die Kammeroper passt, ist die Aufgabe von Fabian Dobler, der, wir erinnern uns, guten Fee. Dobler ist der musikalische Leiter des Hauses, kennt Kroll schon etwas länger, stellte die Verbindung nach Hamburg her und schrieb auch das Arrangement für die Uraufführung. Am 9. April ist Dornröschen alias „Der scharlachrote Buchstabe“ wachgeküsst worden. Manche Märchen gehen eben gut aus.

Der scharlachrote Buchstabe 11., 12. und ab 16.4., jeweils 20.00, Hamburger Kammeroper (Allee Theater). Karten zu 22,- bis 35,- unter T. 38 29 59