Die Pianistin Maria João Pires eröffnet das 1. Internationale Musikfest Hamburg mit Thomas Hengelbrock und dem NDR Sinfonieorchester mit Werken von Mahler und Beethoven

Jeder Premiere wohnt ein Zauber inne, könnte man frei nach Hermann Hesse sagen. Wenn die Pianistin Maria João Pires, das NDR Sinfonieorchester und sein Chef Thomas Hengelbrock Anfang Mai in der Laeiszhalle auftreten, dann ist das eine doppelte Premiere: Zum einen wird es die lang ersehnte Eröffnung des 1. Internationalen Musikfests Hamburg. Und zum anderen wird das Konzert gewissermaßen die Hamburger Erstaufführung einer Mahler-Sinfonie, genannt „Titan“, in anderem Gewande bekannt unter der nüchterneren Bezeichnung Sinfonie Nr. 1.

Mahlers Erste wird erstaufgeführt? Die gehört längst doch zum Kernrepertoire! Gemach. Den feinen Unterschied macht die Fassung. Die Erste Sinfonie kam unter diesem Namen und in ihrer endgültigen Form erstmals 1896 in Berlin zur Aufführung. Da blickte sie allerdings auf eine so lange und verzweigte Entstehungsgeschichte zurück, dass man von „Uraufführung“ nicht wirklich reden kann. Ihre Anfänge verlieren sich im Dunkeln, vermutlich fallen sie in das Jahr 1884 oder 1885. Seit 1885 war Mahler Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag und entwickelte sich dort nicht nur zum bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit, auch als Komponist wagte er sich allmählich aus der Deckung. 1886 brachte er drei eigene Orchesterlieder zur Uraufführung, darunter „Ging heut Morgen übers Feld“ aus dem Zyklus „Lieder eines fahrenden Gesellen“, jenes Lied, das in Zitaten das Gesicht der späteren Ersten Sinfonie prägen sollte.

Seine erste Uraufführung erlebte das Werk 1889 in Budapest. Da hieß es allerdings noch „Symphonische Dichtung in zwei Teilen“, wobei sich die beiden Teile in fünf Sätze aufteilten, die ganz bürgerliche Satzbezeichnungen trugen wie „Andante“ oder „Scherzo“. In den nächsten Jahren überarbeitete Mahler das Stück und rang dabei im Verborgenen mit dem Phänomen der Programmmusik.

Nach landläufigem Verständnis ist das Instrumentalmusik, die einen außermusikalischen Inhalt hat; häufig heißt sie auch gleich so, wie etwa Vivaldis berühmte „Vier Jahreszeiten“. Mahler hat in seinen Orchesterwerken äußerst suggestive Bilder geschaffen. Doch nachdem 1890 Richard Strauss mit seiner Sinfonischen Dichtung „Don Juan“ einen Triumph gefeiert hatte, wollte Mahler sich von dieser Gattung absetzen. Nur was dann? Sein Werk schlicht als Sinfonie zu etikettieren, dazu fehlte dem Neuling angesichts von Beethovens erdrückendem Vorbild der Mut. Für die Hamburger Aufführung 1893, mittlerweile war er Erster Kapellmeister des hiesigen Stadttheaters, griff er deshalb zu der Bezeichnung „Tondichtung“. Und ließ sich dann doch noch hinreißen, dem Stück nicht nur den poetischen Titel „Titan“ zu geben, sondern im Programmheft die Satzbezeichungen ausführlich zu erläutern; von „Frühling und kein Ende“ bis zu „Dall’inferno“ spannte sich der klingende Bilderreigen.

Es war das erste und letzte Mal. „Ich weiß für mich, daß ich, solang ich mein Erlebnis in Worten zusammenfassen kann, gewiß keine Musik hierüber machen würde“, schrieb er in einem Brief an den Kritiker Max Marschall. „Mein Bedürfnis, mich musikalisch-symphonisch auszusprechen, beginnt erst da, wo die dunkeln Empfindungen walten, an der Pforte, die in die ,andere Welt‘ hineinführt.“ Für die Berliner Aufführung strich er sämtliche Überschriften und den gesamten zweiten Satz „Blumine“. In dieser gestrafften Gestalt hat die Sinfonie Nr. 1 D-Dur die Konzertsäle erobert. Der von Mahler selbst nur noch spöttisch „sogenannt“ betitelte „Titan“ war vergessen.

Bis die Wiener Universal Edition beschloss, ihn in einer kritischen Neuausgabe herauszubringen. Hengelbrock und das Orchester halfen bei der Durchsicht des Materials und holen den Ur- „Titan“ nach mehr als einem Jahrhundert gewissermaßen nach Hause.

Noch einen weiteren Titan haben die Künstler auf dem Programm, nämlich Ludwig van Beethoven. Allerdings mit einem weniger monolithisch-riesenhaften als vielmehr lyrischen Stück, nämlich dem 2. Klavierkonzert in B-Dur. Welcher Interpret wäre dafür berufener als Maria João Pires? Wer die Portugiesin vor zwei Jahren an der Seite des Dirigenten Claudio Abbado in der Laeiszhalle hören durfte, dem hat sich ihr hinreißend beseeltes, subtiles und präzises Spiel unauslöschlich in Herz und Gedächtnis eingeschrieben.

Eröffnungskonzert 9.5., 20 Uhr, Laeiszhalle. Karten zu 9,- bis 65,- unter T. 44192192 oder www.ndrticketshop.de