Insbesondere TV-Serien am Nachmittag lenken viele Schüler vom Lernen ab

Gleich nach der Schule kommt sie nach Hause, zieht ihre Jogginghose und ein graues T-Shirt an. Sie geht barfuß in die Küche, macht sich ihr Mittagessen warm und setzt sich vor den Fernseher. Jeden Tag macht Annika (Name geändert) das Gleiche. Sie sieht fern. Zu ihren Lieblingssendern gehören RTL, Sat.1 und ProSieben. „Um diese Uhrzeit gibt es eigentlich nur Assi-TV“, sagt sie. Es läuft gerade „Familien im Brennpunkt“. Ein Ehepaar schreit sich ununterbrochen an. Mann und Frau werfen sich gegenseitig Fehler und Schwächen an den Kopf. Annika prustet los. Für sie ist es sehr amüsant, andere im Fernsehen streiten zu sehen. Dabei ist sie nicht die Einzige. Jeden Tag schalten mehrere Millionen Menschen schon morgens den Fernseher ein. Die Mehrheit der jüngeren Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren sehen am häufigsten RTL, dann ProSieben und Sat.1. Die öffentlich-rechtlichen Programme wie ARD, ZDF und Arte kommen dort zu kurz. Es heißt, dass Privatsender mit ihren Shows nicht die Wirklichkeit darstellen. Die Familienstreits seien erfunden, erlogen und manipuliert. Gecastete Familien spielten Drehbuchgeschichten.

Im Grunde weiß Annika, dass ihre Lieblingssendungen nicht gerade zu ihrer Bildung beitragen. Immer häufiger habe sie sogar das Gefühl zu verdummen, sagt sie. Wieso sieht Annika trotzdem weiter solche Sendungen? Aus Gewohnheit und Langeweile, sagt sie. Selten greift sie zu einem Buch, und auch die Disziplin für Hausaufgaben hat sie verloren. Da ist es kein Wunder, dass sie in der Schule absackt. Durch diese ständige Ablenkung verliert sie die Schule aus den Augen.

Die Jugend ist in ihrer Sprachgewandtheit und besonders in der Rechtschreibung unsicherer geworden, heißt es. Annika schaltet den Fernseher leiser, denkt über dieses Thema nach und sagt: „Ich glaube, es gibt solche und solche Leute. Die einen sind schlau, und die anderen interessieren sich nicht fürs Lernen.“

Warum gibt es so viele unnütze TV-Serien? Die Medien haben auf jeden Fall einen großen Einfluss auf unser Leben und somit auch auf unsere Bildung.

Als „Flynn-Effekt“ bezeichnet man die Tatsache, dass die Ergebnisse von IQ-Tests immer höher werden, die Menschen also immer intelligenter. Der US-amerikanische Entwicklungsbiologe Gerald Crabtree ist anderer Meinung. Er sagt, die Menschen werden immer dümmer, weil die Intelligenz fürs Überleben nicht mehr so wichtig ist. Viele deutsche Forscher sehen dies anders. In gewissen Bereichen nehme die Intelligenz der Menschen zu und in anderen ab, hieß es kürzlich in einem Artikel in der „Welt“.

Annika setzt sich an ihren Schreibtisch. Sie möchte für die bevorstehende Mathearbeit lernen. Sie hält es beim Lernen nicht lange aus, und schon bald sitzt sie wieder vor dem Fernseher. Die Schule kann warten.