Dass Männermode auch mutig sein kann, beweisen die engagierten Nachwuchstalente

Das Hemd auf der Kleiderpuppe wirkt schlicht, sehr klar in Schnitt und Material. Tatsächlich aber erweist sich das Kleidungsstück, an dem Moritz Ahrens gerade für seine Bachelorarbeit näht, als ein wahrer Verwandlungskünstler. Verborgene Magnete ermöglichen eine komplette Veränderung der Form und erlauben den raschen Wandel von schlicht zu extravagant.

Moritz Ahrens studiert Modedesign im achten Semester an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW Hamburg. Seine Bachelorarbeit trägt den Titel „Alter Ego“. „In jedem von uns stecken zwei Persönlichkeiten: Die visuelle Erscheinung und das, was dahinter steht. Mich interessiert der Moment, in dem das Unerwartete zum Vorschein kommt“, erläutert der 27-Jährige. Als Beispiel nennt er einen Anzug, der sich plötzlich auflöst und ein Tutu freigibt. „Dahinter steht ein im Geschäftsleben Gefangener, der viel lieber Tänzer geworden wäre.“

Aufsehenerregende Effekte und spektakuläre Mode-Inszenierungen sind von den Laufstegen in Paris und Mailand genauso wenig wegzudenken, wie sie auf den Modenschauen am Modecampus Armgartstraße fehlen dürfen, wo die Nachwuchsdesigner ihr kreatives Können beweisen. Gerade die Männermode hatte bei der letzten Schau einen großen Auftritt, als etwa der „Rosenkavalier“ präsentiert wurde – ein mit leuchtend roten Rosen überzogener klassischer Herrenanzug. „Für Aufmerksamkeit in der Mode sorgen heute gerne solche Brüche“, erklärt Ahrens, der die Modenschau mitorganisiert hat. Ganz einfach „für den Hausgebrauch“ lasse sich das umsetzen, indem beispielsweise ein Anzug mit einem Arbeitshemd oder Jackett und Hemd mit Leder kombiniert werde. „Da findet sich stilistisch ein klassisches Zitat, das durch ein überraschendes Material gebrochen wird“, sagt Ahrens. Oder durch ein überraschendes Farbelement, wie beim Rosenkavalier.

Was uns heute als Sensation erscheint – schreiende Farben in der Männermode – ist historisch gesehen ein alter Hut, weiß Lara Krude, Studentin im ersten Mastersemester Modedesign. „In der Renaissance oder dem Rokoko ging es sehr farbenfroh zu. Überhaupt hat sich im Laufe der Jahrhunderte die Mode extrem gewandelt. Aber als der schwarze Anzug aufkam, da blieb er, und modische Veränderungen sind eher im Detail zu finden“, erklärt die 26-Jährige.

Sich trotzdem in Semesterarbeiten und auf Modenschauen so richtig austoben zu dürfen, ist ein wesentlicher Bestandteil des Studiums. „Wir genießen es, im geschützten Raum Hochschule noch völlig frei experimentieren zu dürfen ohne die Schere ,Käufer/Tragbarkeit‘ im Kopf. Das schult die Kreativität und den Umgang mit den unterschiedlichsten Materialien“, sagt Krude. Zudem ist jede Schau eine Art Werbemaßnahme für den eigenen Namen.

Die Fotos der Kollektionen wandern in die Mappen der Studenten und sind wichtige Elemente bei Bewerbungen. Ahrens konnte mit seinen Arbeiten immerhin die Aufmerksamkeit von Vivienne Westwood gewinnen und ergatterte ein dreimonatiges Praktikum. „Ich konnte in London Einblick in ihre Kollektionsarbeit erhalten und war auch bei den Modenschauen in Paris dabei.“ Krude wiederum kann mit Wettbewerbserfolgen punkten. 2012 gewann sie den Audi Fashion Award und ist in diesem Jahr mit ihrer Bachelor-Arbeit für den Apolda European Design Award nominiert.

Dennoch ist beiden Studierenden klar, dass eine erfolgreiche Karriere gerade in ihrem Metier keineswegs sicher ist. „Aber ich bin optimistisch, dass es mit viel Arbeit und Engagement schon klappt“, sagt Krude. Sie habe schon im Alter von 16 Jahren angefangen zu nähen und Pullover und Jacken auseinandergenommen, um zu verstehen, wie die funktionieren, erzählt sie. „Damals war für mich klar: Das oder gar nichts wird mein Beruf.“ Eine solche Entschlossenheit ist wichtig, denn Modedesign ist ein arbeitsintensives Studium. „Gerade zum Ende des Semsters ist es nichts Besonderes, die Nächte durchzuarbeiten. Partymachen kommt dann zu kurz, dafür stehst du Sonntagmorgen bereits um acht Uhr an der Puppe“, sagt sie mit einem Lächeln.

„Sich für Mode zu interessieren, in Form von Shoppen gehen und Zeitschriften wälzen, reicht nicht“, warnt auch Ahrens. „Man muss schon mit echter Leidenschaft dabei sein.“ Doch gerade mit der Leidenschaft ist das so eine Sache. „In jeder Arbeit steckt viel von uns persönlich. Und wenn man viel Zeit, Mühe, Arbeit und Geld in ein Outfit gesteckt hat und es dann vom Professor kritisiert wird, ist es nicht immer leicht, damit umzugehen.“ Es gehöre schon einiges an Selbstbewusstsein dazu, seine Idee zu verteidigen, konstruktive Kritik aber auch annehmen zu können.

Wissen wird in Schnittgestaltung und Textiltechnik vermittelt

Überhaupt sei die persönliche Entwicklung interessant, die das Studium mit sich bringt, findet Krude. „Man kommt durch das Interesse an Mode zum Studium, wird aber sehr schnell zum Techniker.“ Denn das technische Wissen, das in Seminaren wie Textiltechnik, Schnittgestaltung, Fertigungstechnik oder im Labor Mode vermittelt wird, führe dazu, dass der Gedanke an Fertigungsaspekte schon allererste Skizzen steuere. „Am Ende sind wir dann mehr Architekt als Stylist.“ Doch natürlich stehe der ästhetische Gesichtspunkt bei ihrer Arbeit stets im Zentrum, betonen beide.

Und welche ästhetischen Gesichtspunkte sind nun für die kommende Saison in der Männermode zu erwarten? Läutet der „Rosenkavalier“ eine Renaissance der starken Farben und Muster ein? Insgesamt habe sich längst eine große Bandbreite an Farben etabliert, aus der je nach Mut zur Farbe individuell kombiniert werden kann, sagt Lara Krude.

Moritz Ahrens rät zu mehr Individualität in der Garderobe. Denn wer sich gern an aktuellen Modetrends orientiert, hat es zunehmend schwer. Trends werden immer schnelllebiger, es wird inzwischen rasend schnell produziert und kopiert.

Gerade wurde die neue Mode noch auf dem Laufsteg präsentiert, und schon ist sie wenig später bei H & M und Co. zu finden. Für die angehenden Modedesigner bedeutet das mehr Freiheit in der Gestaltung. Und für den Kunden: Er oder sie muss selbst kombinieren.