Astrid Gutsche aus Hamburg hat mit ihrem Mann Gastón Acurio in Lima ein kulinarisches Imperium aufgebaut

Ihr größter Stolz sind die Schokoküsse. Schwarz, rot, weiß oder lila gestreift liegen sie in der Kühlauslage des Melate Chocolate. Ein köstlicher Traum aus weißem, rosa oder gelbem Fruchtschaum mit fester Schokoladenkruste, an dem durchaus auch zwei Personen ihre süßen Gelüste stillen könnten. Aber die dicken Dinger sind nur eines der Produkte, die Astrid Gutsche in der Acht-Millionen-Stadt Lima berühmt, beliebt und reich gemacht haben. Es gibt in ihrem Geschäft in der Shoppingmall Jockey Plaza im Stadtviertel Surco Schokoladentafeln, Schokostäbchen und Pralinés mit höchst unterschiedlichen peruanischen Kakaosorten.

Der schicke Laden ist in Weiß, Grau-Grün und Rot gehalten, die Verpackungen aus edlem Karton überraschen in diversen Mustern und Farben. „Beste Produkte, modernes Design, freundliches und kompetentes Personal“ – so lautet das Credo der Chefin.

Astrid Gutsche ist 42, ein fröhliches, offenes, 1,60 Meter großes Energiebündel mit rotblonder Mähne. Geboren wurde sie in Hamburg als Tochter eines Managers und einer Dolmetscherin. Und obwohl sie schon mit sechs Jahren mit ihren Eltern nach Paris umzog, erinnert sie sich an Elbspaziergänge mit dem Kindergarten, an den Hamburger Dom und an die beiden Omas in Altona und Blankenese. Beim Schlittschuhlaufen auf der Alster stürzte sie in ihren viel zu großen Schuhen und zerriss die Hose von Mama. Schon lange war sie nicht mehr an Elbe und Alster, sagt sie. Vielleicht klappt es in diesem Herbst. Auch als Kind war Peru schon ihre große Liebe – woher das rührt, kann sie sich nicht erklären. Zum Geburtstag wünschte sie sich einen Poncho und einen Chullo, die peruanische Ohrenmütze. Ihre erste große Auslandreise führte konsequenterweise in den Andenstaat, und das Land ihrer Träume enttäuschte sie erstaunlicherweise nicht: „Ich wusste, hier will ich einmal leben.“ Doch zunächst begann sie ein Medizinstudium in Paris, brach es ab und schrieb sich an der renommierten Kochschule Le Cordon Bleu ein. Dort traf sie den vier Jahre älteren Peruaner Gastón Acurio, der zum Entsetzen seines Vaters ebenfalls ein solides Jura-Studium geschmissen hatte. Kochen, das war beider Leidenschaft. Hatte einer von ihnen Geld, gingen sie essen: Die junge Liebe ging wahrlich durch den Magen. Nach bestandener Prüfung folgte sie ihm nach Lima, die beiden heirateten und eröffneten am 14. Juli 1995 ihr erstes Restaurant: Astrid y Gastón.

Es wurde von Anfang an ein Riesenerfolg. Neu für Peru war, dass der Chef in einer offenen Küche vor den Augen der Gäste werkelte. Zu dieser Show kam die geschmackliche Offenbarung, die Verbindung europäischer Küche mit peruanischen Elementen, dazu Astrids kreative Desserts und ihr natürliches Talent als Gastgeberin: Schon am zweiten Wochenende wartete spätabends immer noch eine lange Schlange von Menschen, dabei waren die Zutaten schon lange ausgegangen.

Essen und Trinken ist ein Thema, das im armen Peru durchaus nicht nur die Oberen Zehntausend bewegt. Auch in einfachen Vierteln finden sich preiswerte Imbissbuden, auch dort diskutiert man, welche Art von Chili zum Ceviche, dem marinierten Fisch, am besten passt. Astrid und Gastón aber traten eine Lawine los. Lima gilt heute in kulinarischer Hinsicht als einer der quirligsten Plätze ganz Amerikas. Kochschulen, Kritiker und immer wieder neue Restaurants kreierten die „Cocina novoandina“. Und die beiden waren mit ihre Vorreiter.

Nach zwei Jahren folgte eine Kochshow im Fernsehen, bei der sie sich erfolgreich vor der Kamera kabbelten. Ableger ihres Restaurants entstanden in fast allen Hauptstädten Südamerikas und in Madrid. Daneben entwickelten sie ein Bistro, das Mahlzeiten zum Mitnehmen anbietet. Der Imbiss Pasquale y Hermanos ist die peruanische Antwort auf McDonald’s. „Pan con chicharron“, der peruanische Burger, wurde zum Renner: ein Brötchen mit Schweinefleisch, marinierten Zwiebeln, einer gebräunten Süßkartoffelscheibe und pikanter Soße. Nach und nach entstanden mehrere Kochbücher, zwei Töchter kamen zur Welt, in einem der ärmeren Viertel eröffneten sie eine Kochschule. Inzwischen arbeiten Hunderte von Angestellten in aller Welt für das millionenschwere Unternehmen.

Dass es so gut funktioniert, liegt zum guten Teil auch an Astrids Umgang mit den Angestellten. Von Anfang an legte sie, ungewöhnlich genug für Peru, keinerlei Standesdünkel an den Tag. Sie interessierte sich für das Privatleben von Spülern und Putzfrauen, schickte Köche zu Kursen in Spitzenrestaurants und Kellner zu Fortbildungen, sodass sie auch mal über ein Theaterstück oder ein neues Buch plaudern konnten. Man spürt, dass Menschen ihr am Herzen liegen.

Heute ist sie oft in entlegenen Landstrichen Perus unterwegs. Kakao ist ihre große Leidenschaft, wie eine Detektivin sucht sie nach unbekannten oder vergessenen Sorten. Bei ihren Reisen stößt sie immer wieder auf andere Produkte, die zu Unrecht verkannt sind und mit deren Zucht oder Anbau Gemeinden Geld verdienen könnten. Einige Beispiele stellte sie in einem Buch und in einer Fernsehdokumentation vor.

Peru bleibt ihre große Leidenschaft: Sie liebt die Gastfreundschaft und Großzügigkeit der Menschen. Dabei weiß sie, dass sich vieles im Land ändern muss: Die Infrastruktur hinkt hinterher. Es mangelt an Bildungsmöglichkeiten für alle. Ferne Dörfer sind oft abgehängt. „Besser, wir gehen sieben Schritte gemeinsam als einer von uns zehn allein“, sagt Astrid Gutsche, Weltbürgerin aus Hamburg.