Ein Ausflug in die Geschichte der ehemaligen „Harburger Rundschau“ – vom langjährigen Redaktionsleiter Rolf Schriefer

Der Zigarettenautomat am Haus Lüneburger Straße 10 will mit drei D-Mark gefüttert werden. Dafür gibt eines seiner Schubfächer eine Schachtel mit zum Beispiel 21 Camel Filter frei. Die Angaben zeigen deutlich: Diese Geschichte spielt in der Vergangenheit, als es noch die D-Mark gab. Genauer gesagt: Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre. In jener Zeit nämlich war im Haus Lüneburger Straße 10 die Redaktion der Harburger Rundschau untergebracht. Rauchen war damals noch nicht so verpönt wie heute, und die Mitarbeiter der Harburger Rundschau holten sich oft unten am Automaten ihre Zigaretten, bevor sie in die Redaktion hinauf gingen. Einer dieser Mitarbeiter war damals ich.

Die Haustür war immer verschlossen. Besucher mussten unten klingeln. Dann ging es in ein dunkles Treppenhaus, eine knarzende Holztreppe hinauf, die eine halbe Drehung machte und schließlich den Besucher vor die Tür von Redaktion und Anzeigenabteilung der Harburger Rundschau brachte.

Redaktion – das klingt nach großer weiter Welt, Großraumbüros und schwarzem Kaffee. Das mit dem Kaffee stimmte, aber die Redaktion der Harburger Rundschau, der Regionalseiten des Hamburger Abendblattes, arbeitete damals in den Anfangsjahren in einer bescheidenen Drei-Zimmer-AltbauWohnung im ersten Stock. Gleich neben der Tür rechts war die Anzeigenabteilung untergebracht. Eine Tür weiter arbeitete die Redaktion in einem Doppelraum, der durch eine zweiflügelige Schiebetür geteilt werden konnte. In dem vorderen Raum war Platz für die Sekretärin und einen Redakteur. In dem hinteren Raum waren drei Arbeitsplätze und eine Sitzecke mit Sesseln und Sofa – alles nicht mehr so ganz neu. Der Blick aus den einfach-verglasten Fenstern fiel auf die Lüneburger Straße mit dem Woolworth-Kaufhaus. Wer weiter nach links guckte, konnte sehen, welcher Film gerade im Gloria-Kino lief. Die Fußgängerzone war voll mit Einzelhandelsgeschäften, der einzige Bäckerladen hieß „Nur Hier“ und das Wort „Telefonladen“ war unbekannt

Ein Bote brachte Manuskripte und Fotos ins Springerhaus nach Hamburg

Am Anfang erschien die Harburger Rundschau als Beilage im Abendblatt einmal die Woche. Das wurde gegen Ende der 70er-Jahre auf drei Ausgaben die Woche gesteigert – montags, mittwochs und freitags. Die Leser der Region fanden das gut, die Auflage stieg. Zwei Kollegen bearbeiteten das Gebiet Harburg und Wilhelmsburg, einer, das war ich, die Landkreise Stade und Harburg. Dazu gab es noch einen Kollegen, der in Hamburg die Ausgaben produzierte, denn dafür war in Harburg kein Platz. Auch die Sportredaktion der Regionalausgaben arbeitete zentral in Hamburg.

Die Arbeitsabläufe waren grundverschieden von dem, was wir heute kennen. Meine wichtigste Mitarbeiterin hieß Gabriele. Das war der Typenname der Triumph-Reiseschreibmaschine, auf der ich meine Artikel schrieb. Gabriele und ihre Tasten mussten eine Menge aushalten, denn jeder Manuskriptbogen hatte drei Durchschlagblätter angeheftet und auch der letzte musste noch leserlich sein. Da hieß es richtig in die Tasten hauen. Wenn alle Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig auf ihre Gabriele einhackten, war es laut in den beiden Wohnräumen. Telefonieren wurde da schon anstrengend.

Dabei war das Telefon mit das wichtigste Arbeitsgerät. Bei meinem Arbeitsfeld zwischen Stade und der Elbmarsch konnte ich nicht regelmäßig überall sein. Die Kontakte zu Rathäusern, Parteien, Firmen und Informanten mussten oft per Telefon gepflegt werden.

Der Redaktionsalltag begann um 10 Uhr mit einer Konferenz, an der auch der Produktionskollege aus Hamburg teilnahm, damit er wusste, was an Texten und Fotos schon vorhanden war, beziehungsweise was noch geliefert wurde. Nach der Konferenz fuhr er nach Hamburg ins Springerhaus und nahm Manuskripte und belichtete Filme, so weit schon vorhanden, mit.

Für mich hieß es danach zum Beispiel bei einer Brückeneinweihung in Stade dabei zu sein, schnell nach Harburg zu fahren, um den Text zu schreiben und einen Fotozettel auszufüllen, damit die Kollegen später in Hamburg wussten, was auf meinem Film für Motive zu welcher Geschichte waren. Danach ging es etwa in eine Kreisausschusssitzung nach Winsen mit anschließenden Hintergrundgesprächen mit Politikern. Wenn der Tag richtig voll war, folgte vielleicht noch eine Ratssitzung in Seevetal am Abend, wo es vielleicht um die Frage ging, ob der Bau des Veranstaltungszentrums „Burg“ nun sinnvoll sei oder nicht.

Viele der Themen, über die wir Anfang der 80er-Jahre schrieben, sollten Harburg und die Region lange Jahre und zum Teil bis heute beschäftigen. Dazu gehören die Planung der A 26, die immer noch nicht fertig ist, der Bau der A 39 Richtung Lüneburg und weiter oder der totale Umbau der Buchholzer Innenstadt. Auch die inzwischen gebaute Ortsumgehung Finkenwerder hat viele Rundschau-Seiten über die Jahrzehnte gefüllt.

Für heutige Verhältnisse kurios war der Weg der Manuskripte und belichteten Filme, die im Laufe des Tages fertig wurden. Gegen 17 Uhr erschien ein Bote und sammelte alles in einen DIN-A4-Umschlag ein, was die Kollegen in einen roten Plastikkorb gelegt hatten. Damit fuhr er ins Springerhaus und gab den Umschlag in der Stadtteilredaktion des Abendblattes ab. Zum Glück hat es auf diesen Botenfahrten nie eine Panne oder gar einen Unfall gegeben. Das Erscheinen der Harburger Rundschau wäre schnell gefährdet gewesen.

Einmal im Jahr, im Frühjahr, wurde es in der Redaktion richtig voll. Dann wurde die Sonderbeilage für das Harburger Vogelschießen besprochen, die Themen diskutiert und verteilt. Die Stammredaktion benötigte dazu Verstärkung von Hamburger Kollegen. Diese Beilage hatte damals Umfänge von mehr als 30 Seiten, die gut mit Anzeigen gefüllt waren. Sogar die politischen Parteien wünschten den Harburger Schützen per Anzeige Glück. Von den Firmen, die damals inserierten, existieren nur noch wenige. Es waren in erster Linie inhabergeführte Harburger Geschäfte, die längst Filialisten, Bäckerläden und Handyshops Platz gemacht haben.

Das Harburg ein Rathaus hat, war für manchen Hamburger Kollegen neu

Die Kontakte zwischen der Harburger Redaktion und der Abendblatt-Lokalredaktion waren in der Zeit eher locker. Das lag auch daran, dass der Bezirk Harburg als südlich der Elbe gelegen in Hamburg eher am Rande wahr und nicht immer ernst genommen wurde.

Wie groß das Nichtwissen manches Hamburg-Redakteurs war, mag diese Geschichte deutlich machen: Ich erfuhr eines Dienstagabends über einen Bekannten, dass erboste Eltern in den frühen Morgenstunden des Mittwoch den Eingang des Harburger Rathauses mit Ytong-Steinen zumauern wollten. Die Eltern waren über eine Schul-Entscheidung der Bezirksverwaltung sauer. Also rief ich den diensthabenden Schichtführer in der Lokalredaktion an, informierte ihn über den Vorgang und erklärte ihm, dass das in der Harburg-Ausgabe nicht sinnvoll erscheinen könne, weil wir erst am Freitag wieder auf dem Markt seien. Da müsse das Abendblatt bitte jemanden schicken. Die Frage am anderen Ende der Leitung: „Wo ist das?“ Anwort: „Am Harburger Rathaus.“ Frage: „Harburg hat ein eigenes Rathaus? Wo ist das denn?“ Antwort: „Harburger Rathausplatz.“ Kommentar aus Hamburg: „Ach, das ist ja niedlich.“ Den Rest des Dialogs verschweige ich lieber.

Aber es gab auch Personen beim Abendblatt, denen das Wohl und die Arbeit der Harburger Redaktion am Herzen lagen. Im Frühjahr 1982 besuchte der stellvertretende Verlagsleiter Christian Delbrück die Redaktion in der Lüneburger Straße. Bei uns war es inzwischen noch enger geworden, weil wir einen Kollegen dazu bekommen hatten, der sich um den Kreis Stade kümmerte. Eine Entlastung für mich, aber weniger Platz für uns alle.

Delbrück sah die Gesamtsituation und war entsetzt: „Das Treppenhaus, der Eingang, diese Räume hier – das ist unzumutbar und passt nicht zum Abendblatt.“ Wir bekamen den Auftrag, uns umgehend nach neuen, repräsentativen und größeren Räumen umzusehen. Er, Delbrück, werde sich dann um alles Weitere kümmern. Und so bezog die Redaktion bereits wenige Monate später neue Räume am Harburger Ring 24. Wir waren Christian Delbrück sehr dankbar. Er ist leider 2006 gestorben.

Die neuen Räume waren ein Traum, richtig viel Platz für alle, auch groß genug, um sich einmal mit einem Besucher zurückzuziehen. Aber nichts ist so beständig wie der Wandel. Schon im Sommer 1983 wurden die Stadtteilausgaben des Hamburger Abendblattes neu aufgestellt. Die bis dahin wöchentlich einmal erscheinenden Stadtteilausgaben für Altona, Wandsbek und Eimsbüttel wurden eingestellt und in den Lokalteil des Abendblattes integriert. Die Harburger Rundschau sollte in einem verkleinerten Format mit weiterhin vier Seiten jetzt täglich erscheinen. Eine tolle Sache, die den Wert der Regionalausgabe und das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter deutlich hob.

Dazu kamen neue Kollegen in die Räume am Harburger Ring. Die tägliche Ausgabe wurde auch in Harburg produziert, das heißt, es wurde das Layout gezeichnet, wurden Texte redigiert und Überschriften gemacht. Also musste wieder zusammen gerückt werden, wenn es auch längst nicht so eng wurde wie zuvor in der Lüneburger Straße.

Die Redaktion bekam ein eigenes Fotolabor, so dass die Filme nicht mehr nach Hamburg geschickt werden mussten. Zudem bescherte der Fortschritt der Redaktion ein Faxgerät, das allerdings so laut war, dass es schnell auf die Nerven ging. Eines allerdings war geblieben. Die fertigem Layouts, Fotos und redigierten Manuskripte mussten immer noch nach Hamburg zum Setzen und Drucken geschickt werden. Das übernahm weiterhin ein Bote per Auto – Abfahrtzeit 17 Uhr. Oft genug haben wir Redakteure dann um Minuten gefeilscht: „Warten Sie bitte noch etwas, der letzte Absatz muss noch fertig…“

Eine ereignisreiche Zeit mit intensiven Erfahrungen und prima Kollegen

Eine sehr gute Entwicklung war, dass wir höchst aktuell arbeiten konnten. Gab es zum Beispiel eine wichtige Ratssitzung am Abend, bei der Weichen für die Entwicklung des Ortes gestellt wurden, dann wurde der Platz e frei gehalten. Den Text konnte ich bis 21.30 Uhr an der telefonischen Aufnahme des Verlages loswerden. Die Damen und Herren dort konnten im selben Tempo, in dem ich sprach, auf ihren Geräten mitschreiben - bewundernswert.

Diese 70er- und 80er-Jahren bei der Harburger Rundschau waren eine ereignisreiche Zeit mit intensiven Erfahrungen und prima Kolleginnen und Kollegen. 1984 habe ich die Redaktion verlassen, weil ich mich journalistisch woanders umschauen wollte und nicht etwa, weil mir am Harburger Ring der alte Zigarettenautomat fehlte.