1951 übernahm Ingrid Westphal-Lamp’l, die Tochters des Gründers der früheren Ahrensburger Zeitung, die Leitung der Redaktion

Sie erlebte den technischen Wandel der Zeitungserstellung vom Bleisatz bis zum Desktop-Publishing, begleitete kritisch die Amtszeit von vier Bürgermeistern in der Schlossstadt. Ingrid Westphal- Lamp’l war Stormarns rasende Reporterin der ersten Stunde. „Ich hatte einen Ruf wie Donnerhall“, erinnert sich die ehemalige Redaktionsleiterin der „Ahrensburger Zeitung“, wie die Abendblatt-Regionalausgabe früher hieß. Ein Ruf, den sie sich mit zähem Willen erarbeitete. „Learning by doing, wie man heute sagt“, sinniert die 82- Jährige mit einem Lächeln.

Rückblende: Ihr Vater, Verleger Edgar Lamp’l, stand nach Kriegsende vor dem Aus. Sein „Rothenburgsorter Lokalanzeiger“ war 1941 vom NS-Regime eingestellt worden, die väterliche Rotationsdruckerei im Bombenhagel zerstört. Doch Lamp’l, der mit seiner Frau und drei Töchtern in Schmalenbeck lebte, hatte eine Vision. Er wollte eine kleine Zeitung herausgeben, deren Berichterstattung dort beginnen sollte, wo die großen Blätter aufhörten. Mit Ereignissen aus der Umgebung, Geschäftseröffnungen, Jubiläen, sportlichen Veranstaltungen. Der Verleger sah das Bedürfnis nach Identifikation in einer Stadt, zu deren 3500 Einwohnern sich binnen kurzer Zeit Tausende ausgebombter Hamburger, aus dem Osten geflüchteter Schlesier, Ost- und Westpreußen, Pommern, Sachsen und Berliner gesellt hatten. Der gute Ruf seines Familiennamens verhalf ihm zu zinslosen Krediten, verbliebene Druckereien sicherten ihm Kapazitäten. Am 29. Oktober 1949 erschien die erste Ausgabe der „Ahrensburger Zeitung“ mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren.

„Die Zeitung wurde in Rahlstedt gedruckt. Ich musste den Bleisatz dort abholen, las Korrektur und transportierte die Zeitungsbündel mit dem Bollerwagen zum Bahnhof Richtung Ahrensburg“, erzählt die Verlegertochter. Jeden Freitag erscheint das schnell von vielen Ahrensburgern begehrte Blatt. Hubert Priemel, von 1974 bis 1998 Kreispräsident in Stormarn, ist einer der ersten Austräger. „Im Monat kostete die Zeitung 90 Pfennige, jeder gab eine Mark“, sagt Westphal-Lamp’l, „das war gutes Geld.“

Derweil radelt die 18-Jährige durch die Stadt und sammelt Lesestoff. „Die Leute waren es nicht gewohnt, sich der Presse gegenüber zu äußern. Ich suchte das Gespräch und machte daraus Geschichten.“ Als ältestes Kind verlässt sie die Stormarnschule nach der Unterprima, das Schulgeld langt nur noch für ihre Schwestern. Während ihre Mutter den Telefondienst macht, Anzeigen entgegen nimmt und die Austräger koordiniert, sammeln die jüngeren Töchter Lydia und Erika Abonnementgeld und Anzeigenvorlagen ein. Ein junger Mann schreibt ehrenamtlich den Sportteil.

Als der Lokalchef nach zwei Jahren kündigt, schlägt die Stunde von Ingrid. „Mein Vater übertrug mir die Leitung der Lokalredaktion.“ Als einzige Frau besucht die 20-Jährige abendliche Versammlungen von Politikern und Vereinen. „Da sagte der Schriftführer schon mal, Frau Lamp’l von der Zeitung erscheint um viertel nach acht, wenn ich zu spät kam“, erinnert sich die Zeitungsveteranin. „Es gab zu dem Zeitpunkt keine kommunale Berichterstattung, erst später kamen andere regionale Blätter hinzu.“ Hatte sie mit Vorurteilen zu kämpfen? „Ach, mein jugendlicher Charme hat mir oft weitergeholfen. Und eines hatten die Politiker schnell gelernt: Jeder konnte sicher sein, dass seine Meinung unverfälscht wiedergegeben wurde.“ Ihr Vater habe einen Leitspruch des französischen Philosophen Voltaire gehabt, den auch sie immer beherzige: „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“

Auch als die Reporterin den deutschen Schwergewichtsmeister Albert Westphal heiratet und zwei Kinder bekommt, leitet sie weiter die Redaktion. „Das ging nur mithilfe meiner Mutter. Schade, dass niemand die Geschichte schrieb, wie wichtig Großeltern nach dem Krieg waren.“ Viel Zeit blieb IWL, so ihr Autoren-Kürzel, für den Nachwuchs nicht. „Ich war oft weg. Wenn ich nach Hause kam und meinen Pyjama anzog, waren die Kinder glücklich. Blieb ich im Korsett, wussten sie, ich muss noch zu einer Versammlung.“ Klangvolle Namen kreuzen ihren Weg. Sie trifft auf Völkerrechtler Rudolf Laun, der an den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg beteiligt war und in Ahrensburg lebte. Auf Politiker wie Willy Brandt, Franz Josef Strauß, Uwe Barschel und Gerhard Stoltenberg.

1950 bringt sie den Hamburger Bürgermeister Max Brauer dazu, die Bannmeile vorm Rathaus für die Ankunft einer festlich geschmückten Kutsche aus Ahrensburg aufzuheben. Ihr Vater wollte auf diesem Weg zum Heimatfest in der Schlossstadt einladen. Sein Ziel: die Kluft zwischen Alt- und Neubürgern überbrücken. Um die Genehmigung für die Fahrt zu bekommen, spricht die Tochter in Brauers Vorzimmer vor. Als dieser ihren Namen hört, eilt er aus seinem Büro, erkundigt sich nach ihrem Onkel Walter Lamp’l, auf den er große Stücke hielt. „Die Genehmigung war nur noch eine Marginalie.“

1961 zieht die Redaktion von Schmalenbeck nach Ahrensburg in den heutigen Obst-Pavillon auf dem Rathausplatz. 1970 verkauft Lamp’l die Zeitung an den Axel Springer Verlag, stirbt wenig später. Seine Tochter bleibt bis zur Rente 1991 Redaktionsleiterin. Als Beilage des Abendblattes erscheint die Ahrensburger Zeitung zunächst zweimal pro Woche, später täglich. Heute erscheint sie als Regionalausgabe Stormarn von Tangstedt im Westen des Kreises bis Trittau im Osten, Von Reinbek im Süden bis Reinfeld im Norden Stormarns. Und natürlich online. Für Ingrid Westphal-Lamp’l ist sie noch immer „tägliche Pflichtlektüre".

Viele Bekannte und enge Familienbande bereichern das Leben von Ingrid Westphal-Lamp’l. Zwei Enkelinnen und ein Urenkel sind ihr ganzer Stolz. Wenn sie von ihrer in Venezuela studierenden Enkelin spricht, leuchten ihre Augen. „Sie hat als Einzige das Talent zum Schreiben. Wenn ich morgens auf ihr Foto blicke, ist mein Tag gemacht.“ Weihnachten werden die Angehörigen wieder aus aller Welt anreisen, um mit ihr zu feiern. Bis dahin widmet sie sich ihren Buchprojekten. Es geht um Heimatgeschichte. Sie sagt: „Denn Schreiben ist doch das Schönste der Welt.“