Als sich Axel Springer am 14.Oktober 1948 endlich seinen Herzenswunsch erfüllen und mit dem Hamburger Abendblatt die Zeitung herausgeben durfte, von der er im und nach dem Krieg immer geträumt hatte, gab er ihr mit einem Motto von Gorch Fock die Richtung vor: Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen.

Die Welt lag damals in der zerstörten Hansestadt noch recht fern, aber in der Nachbarschaft, in den Straßen und Familien regten sich wieder Hoffnung und Lebenswille. Die neue Zeitung, das Abendblatt, war Teil davon. Sie blickte zaghaft über die Grenzen ins Ausland, was ja während des „Dritten Reiches“ nicht unverzerrt möglich gewesen war, und sie kümmerte sich um den Nächsten, um jeden einzelnen Leser. Das Hamburger Abendblatt wurde zu einem Stück Heimat.

Das galt auch für die Sprache. Natürlich erschien die Zeitung auf Hochdeutsch, aber auch hierbei gibt es Eigenes, Ererbtes und Besonderes, das wir in Hamburg und zum Teil in ganz Norddeutschland nicht zu verstecken brauchen. Axel Springer definierte das in der ersten Redaktionskonferenz so: „In Hamburg heißt der Samstag Sonnabend!“ Natürlich blieb es nicht beim Sonnabend. Es sammelte sich mehr, was wir unter dem Kapitel Hamburgisch zusammenfassen können.

Sprechen Sie Hamburgisch? Diese Frage bedarf einer Erklärung. Unter Hamburgisch (die Mundart) oder hamburgisch (die Art und Weise) wollen wir hier nicht den Akzent, die Betonung, das Behäbige und Breite oder das S-tolpern über den s-pitzen S-tein verstehen, sondern die Ausdrücke und Begriffe, die Redensarten und Sprichwörter, die wir Älteren früher an Elbe und Alster gehört, gelesen und womöglich täglich gebraucht haben, die heute aber bis auf wenige Reste aus der Umgangssprache verschwunden sind.

Als der damalige Chefredakteur Claus Strunz, ein Quiddje (Zugereister) aus Franken, Anfang Dezember 2008 die Frage nach dem Hamburgischen stellte, konnte niemand mit der überwältigenden Resonanz in der Leserschaft rechnen. Mails und Briefe, teilweise auf Platt und in Sütterlin geschrieben, stapelten sich in der Redaktion. In jeder Zeile spürte man, dass die Erinnerung an Kindheit und Jugend lebendig geworden war, dass scheinbar Verschüttetes und Vergessenes wieder vor Augen stand.

Das Abendblatt eröffnete die tägliche Rubrik „Sprechen Sie Hamburgisch?“, die heute in der 1455. Folge erscheint und zur erfolgreichsten Serie in der 65-jährigen Geschichte unserer Zeitung geworden ist.

Ich darf sie redigieren und hatte auch die Freude, zwei Begleitbände schreiben zu können, die zu Bestsellern mit einer Auflage von rund 200.000 Exemplaren geworden sind. Im Frühjahr erscheint ein übergreifender und stark erweiterter Großband.

Die Leserinnen und Leser erinnerten sich an viele Tausend hamburgische Wörter. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle diese Begriffe nur in Hamburg zu hören waren. Wenn wir uns auf das hätten beschränken müssen, was nur zwischen Hafen und Barmbek gesprochen worden ist, wäre es eine kurze Serie und ein dünnes Buch geworden. Was norddeutsch ist, ist für die Hamburger Leser einer Hamburger Regionalzeitung auch hamburgisch. Wir können den Leuwagen (Schrubber am Stiel) oder den Feudel (Bodenwischtuch) nicht deshalb weglassen, weil auch in Bremen, Lübeck oder gar in Ahrensburg oder Schulau gefeudelt worden ist.

Die meisten hamburgischen Begriffe fußen auf dem Niederdeutschen, dessen Eigenname „Plattdeutsch“ lautet, oder sind als Redensart reines Platt. Die Muttersprache der Hamburger war bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts das Plattdeutsche. Hochdeutsch war die Sprache der Lutherbibel, des Gottesdienstes und auch der Schule, um Lesen und Schreiben zu lehren.

Es gibt viele regionale und chronologische Abstufungen zwischen dem Niederdeutschen und dem sauberen Hochdeutsch. Die Mischung der verschiedenen Sprachebenen, das Hamburger Missingsch, setzt das Plattdeutsche als Grundlage voraus. Da heute auf der Straße nicht mehr Plattdeutsch gesprochen wird, ist auch das richtige Missingsch ausgestorben.

Nördlich der Benrather Linie gibt es zahlreiche Dialektareale (siehe Karte), und selbst auf Hamburger Gebiet muss man zwischen Finkenwerder und den Walddörfern sowie zwischen Blankenese und den Vierlanden differenzieren. Hamburg mag viele typische Eigenschaften haben, ein typisches Platt hat es nicht!

Hamburg ist uneinheitlich gewachsen und 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz mit preußischen Teilen zusammengefügt worden, sodass ein Ausgleich der Mundarten nicht stattfand. Ohnsorg Theater und NDR 90,3 benutzen eine Ausgleichsform, der die Mundarten Holsteins, Nordniedersachsens, Bremens, Hamburgs und Teilen Mecklenburgs zugrunde liegen. Aus Mecklenburg waren Tausende zugewandert, Hamburg wurde auch die „Hauptstadt Mecklenburgs“ genannt. Wurde dort, so spottete man, ein Kind geboren, so drehte man ihm den Kopf in Richtung Hamburg und trichterte ihm ein: Kiek, dat is dien Heimat!

Heute hört man das Hamburgische im Alltag immer seltener. Doch unsere Serie bewahrt es.