Friedenspreisträger Liao Yiwu kommt mit einem neuen, berührenden Interviewband nach Hamburg

Sagen, was ist. Erzählen, was geschieht. Der Wahrheit ins Auge blicken, und sei sie auch noch so schrecklich. Der chinesische Autor Liao Yiwu folgt in seiner Arbeit diesen drei Sätzen. Sie sind sein Wegweiser geworden; wenn man ihn fragt, warum er Freiheit, Gesundheit und Leben dafür riskiert hat, dann sagt er: „Ich kann nicht anders.“

Eines seiner Gedichte, in dem er 1989 nur Stunden vor der blutigen Niederschlagung der Demokratie-Proteste auf dem Tiananmen-Platz in Peking den Hass auf die Andersdenkenden und den Blutrausch der Gewalt vorausahnte, brachte ihn für vier Jahre ins Gefängnis – Folter, Erniedrigung, Selbstmordversuche. Wer seine Manuskript-zettel mit den winzig gekrakelten Schriftzeichen im Frühjahr im Hubertus-Wald-Forum gesehen hat, ahnt, was es bedeutet, dort zu überleben. Liao stand in seiner Heimatstadt Chengdu unter Beobachtung, mehrfach wurden ihm Manuskripte weggenommen. Und neue Strafen angekündigt für den Fall, dass er im Ausland Bücher publiziert.

2011 floh er deshalb aus China und lebt seither in Berlin im Exil. Nun erscheint sein viertes Buch, nach dem ersten erschütternden Interviewband mit Menschen vom unteren Rand der Gesellschaft, einem Protokoll seiner Gefängniszeit und Gesprächen mit Augenzeugen des Tiananmen-Massakers wieder ein Interviewband. Zeitlich liegt er näher am Heute, in vielen Gesprächen wird sichtbar, wie der ungebremst kapitalistische Weg, den das moderne China eingeschlagen hat, die Moral der Menschen durchtränkt, sie infiziert und zerstört. Nach einer autobiografischen Einleitung lesen wir Liao, einen provokativen, listigen und hartnäckigen Nachfrager im Dialog mit 30 Personen.

Diese Dialoge sind skurril wie der mit dem Mann, der ständig neue religiöse Glaubensrichtungen ausprobiert und enttäuscht wird. Es ist bitter, wenn eine Frau erzählt, wie sie ihren Körper verkauft, um ihre Familie durchzubringen. Ernüchternd pragmatisch wirkt es, wenn sich eine junge Frau mit einem vergreisten Revolutionär einlässt, der dafür dann geächtet wird. Eklig wird es, wenn es um verdorbene Praktiken mancher Restaurants geht. Schonungslos erzählt ein Gourmet Einzelheiten zu einer Suppe aus abgetriebenen Föten. Geldeintreiber, Künstler, Drogenabhängige kommen zu Wort, ein heruntergekommener Säufer. Es ist eine notwendige Arbeit, die Liao sich da antut.

In einem Interview sagte er: „Ich beschreibe, wie die Gesellschaft verkommt. Diese eitrige Seite Chinas lernen Touristen nicht kennen. Ich benutze wie ein Chirurg ein Messer, ich kratze an der Oberfläche der Gesellschaft, damit man ihren Eiter sieht.“

Liao Yiwu mit Katharina Schütz 16.9., 19 Uhr, Kühne Logistics University, Karten zu 14€ unter T. 30309898