Erster Preisträger des Hamburger Tüddelbandes ist Geschichtenerzähler Rafik Schami

Er könne „üppige Erzählteppiche“ aus „Sinnlichkeit, Farbenpracht, Intrige und Liebe“ liefern, heißt es über den deutsch-syrischen Autor Rafik Schami. Märchen, Fabeln, Romane, Fantasiegeschichten, Kinderbücher zählen zu seinem Œuvre, aus dem er, ganz nach orientalischer Tradition, gerne auch mündlich in naiv-unschuldigem Plauderton erzählt. Eigentlich heißt Schami ja Suheil Fadél. Den Künstlernamen, der übersetzt „Damaszener Freund“ (Al-Scham ist die arabische Bezeichnung für Damaskus) heißt, trägt der Doktor der Chemie und in Damaskus geborene Bäckersohn seit 1971, als er ins deutsche Exil geflohen ist.

Für seine zahlreichen Bücher, die nicht nur die Probleme von arabischen Menschen in der Fremde behandeln, sondern dem deutsch sprechenden Menschen auch die Welt des alten und neuen Arabien nahebringen, ist er vielfach ausgezeichnet worden. Sein poetisches Prinzip heißt Hoffnung. Möglicherweise wird Schami auch so gerne gelesen, weil seine Geschichten immer gut ausgehen. 1985 bekam er den Adelbert-von-Chamisso-Preis, 1993 bekam er ihn noch einmal. Er wurde mit dem Nelly-Sachs-Preis ausgezeichnet, dem Hermann-Hesse-Preis, dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik und vielen, vielen anderen Preisen. Kein Wunder, dass er so oft ausgezeichnet wurde, Rafik Schami ist ein großer Erzähler, ein Fabulierer von Großromanen, ein Wortzauberer, der uns nicht etwa den Exotismus einer arabischen Welt nahebringen will, sondern die universellen Gefühle, die gerade dort so heftig werden, wo ihnen Widerstand entgegenwächst.

„Jean Paul nannte die Erinnerung das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, hat Schami einmal zitiert. Und deshalb kehrt er immer wieder ins Damaskus seiner Jugend zurück, in die Gassen der Altstadt mit ihren Farben, Stimmen und Gerüchen, sein „Paradies“, in dessen christlichem Teil er aufwuchs. Mit beinahe manischer Detailversessenheit entwirft Schami lebensechte Bilder, akribisch beschreibt er Gebäude, den Duft eines Ortes, den Geschmack von Speisen, Musik und Menschen oder eine verbotene Liebe. Der ehemals syrische Chemiestudent, der seit mehr als 40 Jahren in Deutschland, in der Pfalz, lebt, hier zum Doktor der Chemie promoviert wurde, aber schon immer Schriftsteller werden wollte, schreibt Kinderbücher und Beobachtungen aus dem deutschen Alltag, Hörspiele und Theaterstücke, mehr als 50 Bücher sind von ihm erschienen. Sie wurden in 27 Sprachen übersetzt. Er engagiert sich für Menschenrechte und Demokratie, doch vor allem wurde er durch seine Romane bekannt, in denen er Mythen und Märchen verknüpft, Legenden und Liebesgeschichten, Sehnsucht, Rausch und die Gier nach Geld und Macht.

1978 erschien Schamis erstes Buch in deutscher Sprache, „Andere Märchen“. Eine herausragende Stellung in seinem vielschichtigen Werk nimmt der 1987 erschienene, autobiografisch beeinflusste Tagebuchroman „Eine Hand voller Sterne“ ein, in dem ein Bäckerjunge, der Journalist werden will, die Schwierigkeiten eines unangepassten Jugendlichen im orientalischen Patriarchat und die Probleme eines politischen Journalismus in einem unfreien Land erfährt. Seinen Durchbruch hatte Schami 2004 mit seinem Meisterwerk „Die dunkle Seite der Liebe“, einem 900-Seiten-Werk, das autobiografische Züge trägt und an dem er mehr als 30 Jahre gearbeitet hat. Er war 16, als er miterlebte, wie eine junge Frau von ihrem Bruder erschossen wurde. Sie war Muslimin und liebte einen Christen. Damals beschloss Rafik Schami, ein Buch zu schreiben über solch eine verbotene Liebe. Am Ende ist „Die dunkle Seite der Liebe“ ein erzählerisches Mosaik geworden, in dem aberwitzig viele Steinchen ein Ganzes ergeben. Das Buch wurde mehr als 100-mal rezensiert, fast ausnahmslos wohlwollend bis verzückt.

Erzählt wird bei Rafik Schami, der ein begnadeter Vortragskünstler ist, in einem märchenhaften Ton, der die Faszination des Mündlichen ins Schriftliche rettet. Viele Storys, wenig Psychologie. Wer Schami als Erzähler erlebt, bekommt wunderbare Geschichten zu hören; lebhaft, komisch, charmant plaudert er mühelos. Man wünscht sich bloß eines: Er möge gar nicht mehr damit aufhören.

„Das Geheimnis des Kalligrafen“ ist so eine Geschichte. Sie spielt im Damaskus der 50er-Jahre, als dort Juden, Christen und Muslime noch friedlich zusammenlebten. Zum Thema hat sie aber auch die patriarchalische Gewalt, denn Nura, die talentierte Frau des Kalligrafen, verkümmert in der häuslichen Gefangenschaft. der Kalligraf behandelt sie wie einen Gegenstand. Bereits die Hochzeitsvorbereitungen, bei denen die Frau wie ein Braten eingeölt und enthaart wird, lassen Schlimmes für die Zukunft ahnen. Auch die Frauen selbst, die verbittert sind und nicht aufbegehren, verstärken das System der Unterdrückung. Schami lässt schließlich eine Liebesgeschichte entstehen, in der zwei Unterdrückte und Abhängige in ein anderes Leben aufbrechen wollen. Ob mit Erfolg, bleibt offen. Schami liefert mit diesem Buch auch einen Gesellschaftsroman mit lebhaften Gestalten, Gedanken über Kunst und Kultur.

Ein Kalligraf, der mit Sprache, Wörtern, Ästhetik und Verstehen arbeitet, dürfte Schami besonders nahestehen. Als junger Mann in Deutschland hat sich der Chemiestudent, der den Nachstellungen des syrischen Regimes entkommen konnte, die deutsche Sprache mühsam erarbeitet. Anfangs konnte er nur vier Wörter, „Jawoll“ und „Ich liebe dich“. Die Umgangssprache erlernte er schnell, als er auf Baustellen und am Fließband arbeitete. Da er aber wusste, dass das nicht reichen würde, wenn er Schriftsteller werden wolle, schrieb er nachts Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“, Satiren von Heine und Tucholsky mit der Hand ab, „damit sie durch die Hand hindurch in Herz und Hirn gingen“, wie Schami sagt. „Ich wollte das Handwerk lernen, wollte wissen, wie ein Dialog, eine Stimmung oder eine Naturszenerie aufgebaut wird. Auf diese Weise habe ich die deutsche Literatur schätzen gelernt: Arthur Schnitzler, Franz Kafka, Bertolt Brecht und Joseph Roth.“ Heute ist Rafik Schami der erfolgreichste syrische Schriftsteller der Welt. Wenn auch einer, der Deutscher ist und in deutscher Sprache schreibt.

Auch Kinderbücher hat der überbordende Erzähler geschrieben, Geschichten mit Titeln wie „Das Herz der Puppe“, „Der Kameltreiber von Heidelberg“, „Meister Marios Geschichte“ oder „Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm“. Für Schamis Kinderbücher gilt natürlich ebenfalls, dass sie vom überbordenden Erzählen leben, von der Lust am Fabulieren.

Rafik Schami liest zweimal auf dem Harbour Front Literaturfestival: am 12.9. für Erwachsene, 20 Uhr, St. Katharinen, Eintritt: 15 Euro; und am 13.9. für Kinder, 9 Uhr, St. Katharinen, Karten 8 €, erm. 6 €, Schulklassen 3 € pro Person Karten unter T. 30 30 98 98