Zur Saisoneröffnung bringt die Staatsoper York Höllers „Der Meister und Margarita“ auf die Bühne

Man stelle sich vor: eine Varietévorstellung in Moskau, mitten im blühenden Sozialismus. Der Magier und seine Adepten haben den Conférencier geköpft, Rubelscheine aufs Publikum regnen lassen und für die Damen einen Kleidertausch inszeniert: Alt gegen Neu, Konfektionsware gegen französische Haute Couture. Natürlich greifen alle zu wie Verhungernde. Nur – am folgenden Morgen ist zwar der Kopf wieder an Ort und Stelle, aber leider entpuppen sich die Geldscheine als streng verbotene Devisen und bereiten ihren Besitzern Scherereien mit der Staatsgewalt. Und die schönen Kleider haben sich gleich in Luft aufgelöst.

Nicht nur ihre Trägerinnen sind in jeder Hinsicht entblößt. Das ganze Publikum, das wie im Rausch nach all dem Überfluss griff, ist gründlich düpiert – und mit ihm eine ganze Gesellschaftsform, die ihre Berechtigung auf die Erhabenheit über materiellen Reichtum zu gründen vorgibt.

Die surreale Szene ist ein Mosaiksteinchen aus Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“. Drahtzieher in dem komplexen Gewebe ist der Teufel höchstpersönlich; die Anlehnung an Goethes „Faust“ im Titel ist kein Zufall. Die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, stiftet allerhand belebende Verwirrung im überverwalteten Moskau. In einem Roman im Roman erzählt der Schriftsteller, den seine Geliebte Margarita nur den Meister nennt, die Passionsgeschichte Jesu neu. Nicht unbedingt ein Thema nach dem Geschmack der Funktionäre. Kein Wunder, dass der Verfasser sich mit seiner magischen Satire um Kopf und Kragen schrieb. Das Buch erschien in der Sowjetunion erst 1966, Jahrzehnte nach Bulgakows Tod; seither genießt es Kultstatus.

Zur Saisoneröffnung kommt Bulgakows Geniestreich auf die Bühne der Staatsoper Hamburg, endlich. Hans Zender beauftragte während seiner Zeit als Generalmusikdirektor den Kölner Komponisten York Höller mit der Vertonung. Allerdings wurde Höllers „Musiktheater in zwei Akten“ an der Dammtorstraße nie gespielt, nachdem Zender vorzeitig weggegangen war. Die Uraufführung war 1989 in Paris, die deutsche Erstaufführung zwei Jahre später in Köln – und dabei blieb es. Simone Young bringt die Oper also gewissermaßen nach Hause. Regie führt Jochen Biganzoli, das Bühnenbild entwirft Johannes Leiacker. Die Doppelrolle von Meister und Jesus übernimmt der Bariton Dietrich Henschel, die Margarita singt Cristina Damian. Die musikalische Leitung hat Marcus Bosch, der regelmäßig in Hamburg zu Gast ist.

Dies wird Boschs erste Premiere am Haus, eine durchaus anspruchsvolle. Weil das Orchester nicht vollständig in den Graben passt, wird das riesige Schlagzeug per Lautsprecher übertragen. Dazu kommen die Bühnenmusik und Tonbänder, die ein Korrepetitor zuspielt. Knifflige Koordinationsaufgaben für alle Beteiligten. Für die Einspielpassagen diktiert ein Knopf im Ohr Bosch das richtige Tempo. „Das wird spannend“, sagt der Dirigent und lacht. „So ein Stück wächst einem mit der Zeit zu. Vieles kann man sich am Schreibtisch aneignen, anderes muss man einfach erhören.“

Höller hat Bulgakows Epos in eine kongenial vielgestaltige Musik gefasst: Zu instrumentalen und elektronischen Klängen treten Jazz- und Rock-Elemente, aber auch Zitate: Zur Beerdigung des Funktionärs mit dem sinnigen Nachnamen Berlioz klingt die „Symphonie fantastique“ des französischen Komponisten an, Gounods „Faust“ als Lieblingsoper Bulgakows darf natürlich nicht fehlen, und selbst vor „Sympathy for the Devil“ der Rolling Stones schreckt Höller nicht zurück.

Wie passend. Am Schluss erlöst der Teufel, der schon das Liebespaar unter seinen Schutz genommen hat, auch noch Pilatus von seiner ewig währenden Gewissensqual. Und stellt unser Weltbild einmal mehr auf den Kopf.

„Der Meister und Margarita“ 14.9., 18.00 (Premiere), Staatsoper. Karten zu 5,- bis 176,- unter T.356868. Weitere Vorstellungen: 18., 21., 26., 28.9. und 4.10., jeweils 19.30