... und manchmal auch nicht. Die Pianistin Hélène Grimaud spielt Brahms mit dem NDR Sinfonieorchester

Darf man zur Deutung eines Werks die Lebensumstände heranziehen, unter denen der Künstler es erschaffen hat? Generationen von Exegeten haben darüber schon gestritten. Dass der Blick auf die Biografie in die Irre führen kann, zeigen die ersten Konzerte der Saison.

Beim ersten Abonnementskonzert dirigiert Thomas Hengelbrock Bartóks Konzert für Orchester und Brahms’ erstes Klavierkonzert mit Hélène Grimaud als Solistin. Und siehe da: Das düstere Klavierkonzert stammt aus der Feder eines junges Mannes, das vielgestaltige, weltzugewandte Konzert für Orchester dagegen ist eines der letzten Werke des sterbenskranken Emigranten.

Brahms war zwar bei der Uraufführung Anfang 1859 mit 25 Jahren schon ein bekannter Pianist und Komponist. Doch das hinderte nicht, dass das Stück „glänzend und entschieden durchfiel“, wie Brahms seinem Freund Joseph Joachim selbstironisch berichtete.

So ganz unverständlich ist das im Nachhinein nicht. Schon die ausgedehnte Orchestereinleitung führte kritischen Zeitgenossen vor Ohren, wie schwer sich der junge Tonsetzer noch mit dem Genre Solokonzert tat; so lobte sein Kollege und späterer Gegenspieler Anton Bruckner den Beginn, durchaus freundlich gemeint, als Sinfoniethema.

Viel Biografisches ist hineingeheimnisst worden in diesen Erstling, etwa dass der ungebärdige Kopfsatz eine Klage über das Schicksal von Brahms’ Mentor Robert Schumann sei, der 1856 nach Jahren geistiger Umnachtung gestorben war. Spekulationen, der entrückte langsame Satz stelle Schumanns Witwe Clara dar, hat Brahms selbst genährt: Er male „an einem sanften Porträt von Dir, das dann Adagio werden soll“, schrieb er ihr.

Ganz anders Belá Bartóks Konzert für Orchester. Weder romantische Empfindungen noch das Ringen um kompositorische Meisterschaft begleiteten die Genese dieses Spätwerks, sondern äußere Bedrängnis. Bartók, dem der Faschismus im benachbarten Deutschland unerträglich war, emigrierte 1940 von Budapest nach New York. Er erhielt zwar die Ehrendoktorwürde der Columbia University, doch seine Werke wurden kaum gespielt. In dieser Lage bekam er einen Kompositionsauftrag – und aus dieser Lage heraus schrieb er sein erfolgreichstes Stück, ebenjenes Konzert für Orchester.

Die Musik strotzt vor Geschichten und Bildern. Über fünf Sätze hinweg steigert sie sich von der Klage bis hin zur triumphalen Lebensbejahung. Naturbeschreibungen und ländliche Feste sind zu hören, brachiale Störungen und sogar Anklänge an einen Bach-Choral – und das von einem, der für den Glauben an einen Schöpfer nur zynische Absagen übrighatte.

Brahms hingegen meinte es ganz und gar ernst mit seinem „Deutschen Requiem“. Statt der üblichen lateinischen Texte aus der katholischen Totenmesse wählte er selbst Bibelstellen in deutscher Sprache aus. Hier steht nicht die Bitte um Erlösung im Mittelpunkt, sondern der Trost für die Zurückbleibenden.

Dmitri Schostakowitsch ist ein Komponist, in dessen Schaffen sich deutlich das eigene Lebensschicksal spiegelt. Sein achtes Streichquartett begriff er als Requiem für sich selbst, wie er in einem Brief schrieb. Entstanden ist das Werk unter dem Eindruck einer politisch motivierten Zwangslage, die Schostakowitsch tief deprimierte. Beim NDR-Konzert erklingt es in der Orchesterfassung als Kammersinfonie.

Gewichtige Themen sind das, die Hengelbrock und seine Musiker da verhandeln. Zu Saisonbeginn dagegen geht es ganz und gar leichtfüßig zu: Die „Opening Night“ des NDR Sinfonieorchesters wird, das vorherzusagen braucht es keine prophetischen Gaben, wieder ein rauschendes Fest.

„Opening Night“ 7.9., 19.00, Laeiszhalle

„Konzertsinfonie – Sinfoniekonzert“ 12.9., 20.00, 15.9., 11.00, jeweils Laeiszhalle

„Ein deutsches Requiem“ 24. und 25.10., jeweils 20.00, LaeiszhalleKarten zu 10,- bis 46,- unter T.44192192 oder www.ndrticketshop.de