In der Geschichte kommt es manchmal zu merkwürdigen Verwandlungen. Aber Überraschungen, wie wir sie mit dem Mohren aus unserem „Tabakladen“ erlebt haben, sind sicher selten. Wer im ersten Obergeschoss des Hamburg Museums beim historischen Rundgang im späten 19. Jahrhundert angelangt ist, findet im Schaufenster eines Tabakladens die Figur eines Mohren. Da Tabak ein Exportgut aus Übersee war, benutzten Ladenbesitzer gern Figuren aus fernen Ländern, wie z. B. „Mohren“, „Indianer“ oder „Orientalen“, um ihre Waren mit dem Merkmal des Exotischen und Fremden zu versehen. So dienten sie als Werbemittel für Pfeifen, Zigarren, später auch Zigaretten. Bis vor einigen Jahren hielt ich auch diesen „Mohren“ für einen Vertreter dieser frühen Form der Werbung, bei der mitunter krude bis rassistische Vorstellungen über wenig bekannte Ethnien oder Völker bemüht oder gar erst erzeugt wurden.

Das änderte sich, als die Figur bei den Vorbereitungen für die Ausstellung „Aufbruch in die Moderne“ konservatorisch behandelt werden musste. Unsere Restauratorin Silke Beiner-Büth nahm sich den Mohren vor und stellte schon bald fest, dass unter der schwarzen Farbschicht ein Inkarnat, also eine helle Hautfarbe liegt. Bei genauerer Betrachtung fällt außerdem auf, dass der Mohr nicht an seiner Pfeife zieht, sondern mit Pausbacken in sie hineinbläst. Vom Typus her entspricht die Figur vielmehr einem barocken Putto oder einer Engelsfigur. Man kennt diese pausbäckigen Burschen, die Flöte oder Posaune blasen, aus Kirchenausstattungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bei unserem Mohren handelt es sich also in Wahrheit um einen verwandelten Engel. Wie es dazu gekommen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Aber man könnte sich zum Beispiel folgende Geschichte vorstellen: Der Mohr, der einst ein Engel war, gehörte zur Ausstattung einer jener Kirchen, die beim Großen Brand 1842 zerstört wurden. Als religiöses Kunstwerk war der Engel später nicht mehr geeignet. Da er aber womöglich schon vom Rauch geschwärzt war, kam jemand auf die Idee, ihn komplett schwarz einzufärben. Als man ihm dann statt der Posaune eine Tabakspfeife in die Hände gab, konnte er in einem Laden für die Genüsse des Rauchens werben. Das alles ist Spekulation, aber eine mögliche Erklärung. Sicher ist nur, dass wir diesen Mohren mit anderen Augen betrachten, wenn wir wissen, dass er ein Vorleben als Engel geführt hat und so ohne Probleme in zwei Kulturen Verwendung finden konnte.

19. Jahrhundert im Historischen Rundgang dauerhaft Hamburg Museum www.hamburgmuseum.de

Zur Person: Lisa Kosok war am Ruhr-Museum in Essen tätig, bevor sie 1993 als stellvertretende Direktorin ans Museum der Arbeit wechselte, dessen Leitung sie 2004 übernahm. Seit 2008 ist sie Direktorin des Hamburg Museums.