Die Ecken sind ein bisschen abgestoßen, aber das Grün ist amtlich. „Mein Anstaltsausweis“, sagt Gertrud Wellmann-Hofmeier und klappt das Papier in der Größe eines alten Personalausweises auf. Wichtig ist der Stempel der Justizbehörde. Der erlaubt ihr den Zugang in die JVA Billwerder, ohne dass jedes Mal die Personalien geprüft werden müssen. Das macht vieles einfacher, aber es ist nicht der einzige Grund, warum Wellmann-Hofmeier froh über das Dokument ist. Es ist auch ein Zeichen – für das gewachsene Vertrauen des Wachpersonals und den Respekt vor ihrer Arbeit. Jeden zweiten Donnerstagnachmittag steht die 73-Jährige vor den Gefängnismauern, um die Menschen zu besuchen, die dort in Abschiebehaft sitzen.

Nicht allein, zehn Ehrenamtliche engagieren sich derzeit in der Unterstützergruppe des Kirchenkreises Hamburg-Ost. Der Beginn reicht in die 1990er-Jahre zurück, als nach der Verschärfung des Asylgesetzes immer mehr Flüchtlinge in Abschiebehaft landeten. Gertrud Wellmann-Hofmeier ist seit acht Jahren dabei. „Es geht mir sehr unter die Haut, dass Menschen, die schon alles verloren haben, ihrer Freiheit beraubt werden“, sagt sie. Abschiebehaft, da wird die ältere Dame mit dem distinguierten Auftreten plötzlich sehr harsch, kriminalisiere die Flüchtlinge. Die Besuche seien der Versuch, dem etwas entgegenzusetzen. Für sie ist es eine Frage von Gerechtigkeit, und auch von Würde. „Unsere Aufgabe ist nicht, in Gut und Böse einzuteilen. Wir bieten unsere Hilfe an.“

Rechtlich gesehen ist Abschiebehaft keine Strafhaft, sondern dient der Durchsetzung der Abschiebung. Um sie zu verhängen, muss ein begründeter Verdacht vorliegen, dass sich jemand der Abschiebeanordnung widersetzt, außerdem müssen Papiere vorhanden sein. 2012 gab es in Hamburg 149 Abschiebegefangene. In den vergangenen Jahren sind es immer weniger geworden. Die Erweiterung der Europäischen Union Richtung Osten, wo früher viele Asylbewerber herkamen, ist ein Grund. Heute sind vor allem Männer aus der Türkei, Ghana und Polen in Abschiebehaft, viele werden nicht zum ersten Mal ausgewiesen. Manchmal sind acht da, wenn die Besucher kommen, manchmal nur zwei. „Aber das ändert ja für die Betroffenen nichts“, sagt Wellmann-Hofmeier. Für sie ist jeder Inhaftierte einer zu viel.

Die Fuhlsbüttlerin, die lange Mitglied der Kirchenkreis-Synode war, hatte 2005 zum ersten Mal von der Gruppe gehört. Damals waren Abschiebehäftlinge gerade nach Santa Fu verlegt worden. „Ich habe mich als Synodale verantwortlich gefühlt“, sagt sie heute. Schon vorher hatte die Leiterin der Bibliothek am Institut für Afrikakunde sich in einer Asylbewerberunterkunft engagiert. Nachdem sie das erste Mal in dem Trakt für die Abschiebehäftlinge war, wusste sie, dass sie das zu ihrer Sache machen wollte. „Niemand kümmert sich um diese Menschen. Sie sind plötzlich weg, auf der Straße aufgegriffen oder von der Ausländerbehörde direkt in die Abschiebehaft“, sagt sie. „Und dann sollen sie möglichst geräuschlos in eine oft ungewisse Zukunft geschickt werden.“ Ihre Mission: „Für Transparenz sorgen, Ungerechtigkeit öffentlich machen.“ Unter anderem kritisiert sie, dass die Flüchtlinge wie Strafgefangene behandelt werden und 16 von 24 Stunden in ihren Zellen eingeschlossen sind. Als Einzige der früheren Gruppe blieb die Ehrenamtlerin dabei, als die Unterbringung der Abschiebehäftlinge vor vier Jahren nach Billwerder wanderte.

Inzwischen haben sich die kirchlichen Unterstützer neu formiert, auch ein Pastor gehört zum Team. Manchmal hören sie einfach nur zu, manchmal übersetzen sie Behördenbriefe. „Viele verstehen gar nicht, warum sie plötzlich in einem Gefängnis sind. Sie sind völlig verunsichert, oft verzweifelt und voller Angst.“ Dann reden sie, erklären die deutschen Gesetze. Manchmal geht es auch um ganz konkrete Sachen. Zum Beispiel, dass die Flüchtlinge ihre Mobiltelefone nicht benutzen dürfen. Oder wenn es Beschwerden über das Essen gibt. „Wir kümmern uns um Missstände und versuchen im Gespräch mit der Anstaltsleitung, etwas zu verändern.“ Der Kontakt ist inzwischen sehr offen. Vor einiger Zeit haben sie angefangen, mit den Häftlingen gemeinsam zu kochen. Trotzdem: Das ist alles mühselig und klingt nach Vergeblichkeit. Denn eigentlich geht es ja bei jedem Besuch wieder von vorne los: Beziehungen aufbauen, sich um Kontakt bemühen, Angebote machen – und dann sind die Menschen beim nächsten Mal längst außer Landes.

Nein, sagt Wellmann-Hofmeier sehr resolut, in die Schublade aufopferungsvollen Gutmenschentums will sie sich nicht stecken lassen. „Es geht nicht um Mitleid. Ich lerne auch sehr viel.“ Es gibt schöne Erlebnisse, wie die Freude eines Nigerianers, den sie durch einen Anruf wieder mit seiner Freundin in Kontakt gebracht hat. „Man muss die Ohnmacht aushalten“, sagt die Unterstützerin. „Es gehört aber auch dazu, dass ich die Wahrheit sage, selbst wenn es wehtut.“ Etwa wenn sich jemand strafbar gemacht hat, wie unlängst ein Kurde, der damit seine Chance vertan hatte, hier zu bleiben. Meistens erfährt sie nicht, wie die Schicksale der Flüchtlinge weitergehen. Und dann zitiert sie ein Jesus-Wort aus dem Matthäus-Evangelium: „Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“ Es ist ihr Leitmotiv.