Tipps, wie Betroffene sich aus ihrer Abhängigkeit lösen und die Angehörigen sie dabei unterstützen können

Suchterkrankungen sind oft nicht nur ein Problem eines Einzelnen. Auch das nahe Umfeld, insbesondere die Partner, die Eltern und Kinder der Betroffenen, leiden mit unter der jeweiligen Abhängigkeit. Die Suche nach Lösungen sollte deshalb alle Beteiligten mit einbeziehen. Wie man eine Sucht erkennt und was man gegen sie tun kann, erklärt Michael Hansen, Suchtberater beim Kreuzbund Diözesanverband Hamburger e. V., einem Fachverband der Caritas

1. Leben wir in einer Zeit der Süchte?

Michael Hansen: Mittel, die eine Sucht auslösen können, haben den Menschen schon immer begleitet. So hat es Abhängigkeiten auch in früheren Jahrhunderten gegeben. Die Psyche des Menschen hat sich also dahingehend nicht verändert. Nur sind in moderner Zeit neue Abhängigkeiten hinzugekommen, wie die von verschiedenen synthetischen Drogen und dem Internet.

2. Welche Abhängigkeiten sind denn heute am meisten verbreitet?

Hansen: An erster Stelle steht der Alkoholismus. Etwa 1,3 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig. Noch weitaus mehr zeigen bereits ein riskantes Trinkverhalten. Auch die Abhängigkeit von Medikamenten, insbesondere von Schlaf- und Beruhigungsmitteln, ist weit verbreitet. Beide Substanzen gehören ebenso wie der Tabak zu den legalen Mitteln und sind daher leichter zu beschaffen als die illegalen Drogen, wie etwa Cannabis oder andere Rauschmittel. Aktuell zunehmend sind Abhängigkeiten vom Internet. Auffällig angestiegen ist auch das gestörte Essverhalten bei Kindern und Jugendlichen. Des Weiteren sind die Glücksspielsucht und die Konsumsucht zu nennen. Letztere betrifft übrigens nicht nur Frauen, die ständig neue Kleidung kaufen, sondern auch Männer, wenn sie einer übermäßig betriebenen Sammelleidenschaft etwa von Schallplatten nachgehen.

3. Wo fängt die Alkoholsucht an?

Hansen: Die Sucht beginnt da, wo man sein eigenes Leben und das der anderen begrenzt, dort, wo die Freiheit des Einzelnen und seiner Mitmenschen endet. Die Abhängigkeit entwickelt sich meist schleichend, sie zeigt sich schließlich daran, wenn sich für den Betroffenen nur noch alles um seine Alkoholsucht dreht. Er kann seinen Konsum nicht mehr kontrollieren, er vernachlässigt sich selbst und seinen Körper. Und er vergisst die Menschen um sich herum, auch jene, für die er verantwortlich ist, seine Partner, seine Familie, seine Kinder. Der Rückzug aus den sozialen Beziehungen setzt ein.

4. Wie zeigt sich die Abhängigkeit?

Hansen: An einem auffälligen Verhalten, dass die Mitmenschen oder, wie wir sagen, die Mitbetroffenen meist sehr viel früher wahrnehmen als der Abhängige selbst. Etwa wenn der Partner von der Arbeit kommt und sich sehr schnell zurückzieht, um sich seinen Suchtstoff zu besorgen. Wenn er etwa nach Alkohol riecht, obwohl er nicht öffentlich trinkt. Oder wenn die Ersparnisse plötzlich aufgebraucht sind.

5. Was steckt hinter einer Sucht?

Hansen: Es ist oft ein Ersatz für etwas, das im Leben fehlt, wie Anerkennung, Gemeinschaft, Partnerschaft und Freundschaft. Man ist einsam, man wird nicht gesehen oder leidet unter fehlender Selbstverwirklichung. Alkohol oder andere Suchtmittel werden auch zur Selbstbehandlung benutzt, um andere Stimmungen zu erzielen.

6. Wie kann man Suchtgefahr verhindern?

Hansen: Suchtprävention beginnt im Kinder- und Jugendalter. Kinder und Jugendliche brauchen einen Schutzraum, in dem sie reifen können. Wo sie von Menschen begleitet werden, die sie annehmen, wie sie sind. Und die ihnen vermitteln, dass das Leben zu meistern ist, auch wenn mal etwas schiefläuft. Das stärkt die eigene Wertschätzung und die seelische Ausgeglichenheit. Wer in seiner Kindheit und Jugend gelernt hat, mit Problemen kommunikativ und konstruktiv umzugehen, kann sie im Erwachsenenalter auch ohne den Griff zum Alkohol lösen.

7. Was können Betroffene tun, um auszusteigen?

Hansen: Der Betroffene sollte sich Hilfe und Begleitung suchen, zunächst in Form von Beratung und auch mit Gesprächen in einer Selbsthilfegruppe. In Hamburg gibt es ein gutes Angebot an anonymer und kostenloser Beratung. Wichtige Voraussetzung ist, dass der Betroffene bereit dazu ist. Dann muss er nur den Telefonhörer in die Hand nehmen. Oftmals machen auch Angehörige den ersten Schritt, rufen an und berichten dann von dem Gespräch.

8. Wie sollten sich Angehörige verhalten?

Hansen: Sie sollten wissen, dass der Weg bis zum Ausstieg aus der Sucht sehr schwierig sein kann. Es kann passieren, dass der Betroffene zunächst lügt und betrügt, um seine Sucht nicht zu- und aufzugeben. Deshalb ist es wichtig, dass auch die Mitbetroffenen in die Beratung gehen. Denn das soziale Geflecht ist wie ein Mobile. Wenn ein Element angestoßen ist, kommt die gesamte Balance ins Wanken. Alle müssen lernen mit dem Suchtproblem umzugehen. In fast jeder Suchterkrankung steckt ein Beziehungsproblem, aber es geht in der Beratung nicht um die Frage der Schuld, zwischen Eltern und Kindern, Ehe- oder Lebenspartnern, sondern um das Erkennen der Probleme und ihre gemeinsame Lösung.

Kreuzbund Diözesanverband Hamburg e. V., Martinistraße 42, Tel.: 040/463832, vertrauliche und kostenlose Telefonberatung Mo–Do, 15–17 Uhr und nach Vereinbarung. Info: www.kreuzbund-hamburg.de