Die Wohnung, zu der Hanna Mitzlaff mindestens dreimal in der Woche aufbricht, liegt irgendwo im Hamburger Stadtgebiet. Die Adresse kennen außer ihr nur sechs weitere Personen. Sie muss geheim bleiben. Denn die Menschen, die in dieser Wohnung leben, haben kein Bleiberecht, nicht für Hamburg, nicht für Deutschland. Sie sind Flüchtlinge ohne Papiere, illegale Migranten, die jederzeit abgeschoben werden können.

Für Hanna Mitzlaff sind die Flüchtlinge zuerst einmal eines: Menschen. Menschen, die vor Verfolgung, Krieg oder Existenznot flohen, die in ihren Heimatländern Afghanistan, Libanon oder Nigeria alles zurückließen und auf teils lebensgefährlichen Wegen nach Europa gelangten. Oder Menschen, die bereits als Gastarbeiter hier lebten und ihren Aufenthaltsstatus verloren, weil sich in ihrer Heimat die Situation änderte. „Es sind keine Schmarotzer, die zu uns kommen, sondern Menschen mit nachvollziehbaren Gründen“, betont die ehemalige Grund-, Haupt- und Realschullehrerin. Sie suchen einen sicheren Aufenthaltsort und eine sichere Existenz.

Vor acht Jahren erfuhr die 65-Jährige von dem Projekt „Migration in unserer Gesellschaft“ in ihrer Kirchengemeinde. In einer leer stehenden Wohnung sollten, wie früher schon einmal, Flüchtlinge untergebracht werden. Doch es fehlten Betreuer, die sich um die zukünftigen Bewohner kümmern, sie zu Behörden, zum Arzt, zu Beratungsstellen und Rechtsanwälten begleiten, ihnen als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Der schon immer sozial engagierten und tatkräftigen Hamburgerin sagte das Projekt zu, obwohl sie die Institution Kirche lange kritisch sah. „Doch in der Flüchtlingsarbeit ist die Kirche einzigartig, sie hilft Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft, das ist für mich gelebtes Christentum“, sagt Mitzlaff. 2005 gründete sie zusammen mit sechs weiteren Freiwilligen eine Gruppe zur Betreuung der Gästewohnung II im Kirchenkreis Hamburg-Ost. Mittlerweile unterhält der Kirchenkreis fünf Gästewohnungen an unterschiedlichen Standorten, unterstützt wird die Arbeit von der AG „Kirchliche Flüchtlingsarbeit in Hamburg“.

„Mit der Wohnung bieten wir Menschen ohne Papiere einen Schutzraum“, erklärt Hanna Mitzlaff. Sie können hier etwas zur Ruhe kommen und überlegen, wie es weitergeht, welche Perspektiven sie haben. „Manche sind von ihrer Flucht schwer traumatisiert, brauchen medizinische Betreuung, andere können und wollen arbeiten“, sagt die Helferin, die im Laufe der Jahre schon über 100 Flüchtlinge betreut hat. Der Aufenthalt in der Wohnung ist begrenzt, die Bedingung zur Aufnahme klar umrissen: Weiterarbeit an der Legalisierung des Aufenthaltes, in Zusammenarbeit mit Beratungsstellen wie Fluchtpunkt. „Wir begleiten die Gäste bei Asylverfahren, aber auch bei alternativen Entscheidungen, wie der Weiterwanderung in ein Drittland oder der Rückkehr in die Heimat“, so die zweifache Mutter.

Manchmal geht es gut aus, wie bei einem Kameruner, der sein langjähriges Asylverfahren durchstand, eine Ausbildung abschloss und schließlich eine feste Anstellung bekam. Oft jedoch gehen die Schicksale unter die Haut. Besonders tragisch endete der Weg eines jungen Ingenieurs aus Bangladesch, der nach vier Jahren zwischen Duldung und Ablehnung resignierte und sich das Leben nahm. „Die Gruppe trägt eine solche schwere Situation, auch wenn wir manchmal kontrovers diskutieren, etwa darüber, ob wir Aufenthalte in der Wohnung verlängern“, sagt Hanna Mitzlaff. Die Gruppe und der bereichernde Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen sind ihr Ansporn, weiterzumachen.

Und sie handelt mit politischem Bewusstsein: „Die Menschenwürde steht als Erstes im Grundgesetz, deshalb ist humanitäre Hilfe nicht nur Sache der Kirche, sondern auch der staatlichen Einrichtungen und der Politik“, so Hanna Mitzlaff. Weil sie nicht nur in Hamburg, sondern auch auf EU-Ebene Handlungsbedarf in der Flüchtlingspolitik sieht, macht sie ihre Arbeit öffentlich und stellt sich dem Dialog. Ob sie denn die ganze Welt retten wolle, fragte sie einst der behandelnde Arzt eines Flüchtlings. Ihre Antwort: „Nicht weltweit, aber denen, die vor meiner Tür stehen und um Unterstützung bitten, will ich helfen.“