Alle streben danach. Wir haben uns dem Gefühl auf verschiedene Arten genähert. Alexander Röder, Hauptpastor am Michel, beschreibt den Begriff historisch und theologisch. Und neun Hamburger verraten uns, wann sie diese tiefe Freude empfinden

Ganze Regalreihen füllen Glücksratgeber in den Buchhandlungen. Es gibt Glücksbringer, Glücksforscher, sogar telefonische Glücksberater. Glück zu haben ist in unserer Gesellschaft offenbar etwas ganz Wichtiges. Doch es gibt Skeptiker, die fragen: Was soll das ganze Gerede über Glück?

Denn was ein glückliches Leben ausmacht, dafür gibt es kein Maß. Ein Mensch im Rollstuhl kann vollkommen glücklich sein; ein Hochleistungssportler, der sich immer wieder mit dem zweiten Platz begnügen muss, hingegen total unglücklich.

Den einen macht eine Scheibe Brot glücklich, ein anderer ist unglücklich, weil gerade seine Lieblingssorte Kaviar nicht erhältlich ist und er sich mit einer anderen begnügen soll.

Nicht alles hat mit Glück zu tun, was uns widerfährt. Manches ist auch Gewinn oder Vorzug, vielleicht sogar Gnade. Wie war das denn mit dem Hans aus dem Brüder-Grimm-Märchen - war er eigentlich im Glück oder fand er sein Glück? Wurde es ihm geschenkt, von wem auch immer, oder hat er es sich erarbeitet? Unsere Sprache unterscheidet sehr fein darin, ob Hans Glück hat oder ob er glücklich ist. Das kann durchaus zweierlei sein.

Man hört immer wieder von glücklichen Lottogewinnern. In der Tat, die haben Glück gehabt, dass ausgerechnet die Zahlen, bei denen sie ihr Kreuz gemacht hatten, aus der Lostrommel gezogen wurden und sie von einem Moment auf den anderen zu reichen Menschen machten. Aber macht das momentane Glück aus diesen Gewinnern glückliche Menschen?

Das ist zunächst nebensächlich. Glück zu haben ist großartig. Darum auch gibt es schon seit ältester Zeit ein reiches Brauchtum, das Glück herbeiwünschen soll. Solche Bräuche überschreiten - manchmal ganz unbewusst - die Grenze zwischen der Welt, in der wir leben, und einer anderen, nicht sichtbaren Welt: der Welt von guten Geistern, Elfen oder auch Göttern, die in das Schicksal der Menschen eingreifen können.

In Friedrichstadt an der Eider gibt es einen alten Brauch, sich vor Beginn des Winters mit einem Gebäck zu beschenken. Es ist kein Mutzenmann und auch kein Nikolaus, sondern es ist ein Schwein. Einer der germanischen Götter, so ging die Sage, ritt auf einem solch wilden Tier mit goldenen Borsten, dem Eber Gullinborsti, durchs Land und brachte Licht in die Dunkelheit, weil Gullinborstis goldene Borsten funkelten. Daran solle das Gebäck erinnern und Glück bringen wie ein Licht in die Finsternis. Ähnliches kannten auch die alten Römer und Griechen.

Bis heute sagen wir umgangssprachlich, jemand "habe Schwein", wenn er Glück gehabt hat. Und wir verschenken kleine Marzipanschweine zum Neujahrsfest, um dem Glück im neuen Jahr ein wenig nachzuhelfen.

Und wenn es nicht kommt?

Dann waren eben die Schicksalsmächte stärker. Zufall - wie beim Lotto - oder gnadenlose Willkür lassen dem einen Glück zufallen und einem anderen nicht.

Aber woher kommt das Glück?

Zunächst eine Annäherung an das Wort selbst: Glückt hängt sprachlich mit unserem Wort Luke zusammen. Wenn etwas gut schließt oder gut ausgeht, dann hat es "geklappt", dann passten Topf und Deckel glücklich zusammen. Und der Mensch staunt schon immer über solches Zusammentreffen und nennt es Glück. Aber das Staunen drückt zugleich die Ambivalenz aus. Wir haben nicht immer den Ausgang eines Ereignisses oder einer Phase unseres Lebens im Blick. Wir haben auch keinen unumschränkten Einfluss darauf, keine Macht darüber und keine Möglichkeit, das Glück festzuhalten.

In einem Kirchenlied aus dem 17. Jahrhundert, wie viele dieser Lieder unter den Eindrücken des Grauens im Dreißigjährigen Krieg entstanden, heißt es: "Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Glücke! Wie sich eine Kugel drehet, die bald da, bald dorten stehet, so ist unser Glücke, sehet!"

Die alten Römer und die Griechen haben diese Ambivalenz mit Schönheit überkleidet und das Glück mit weiblichen Gottheiten identifiziert. Nur leider waren diese Damen launenhaft und hatten neben dem Glück immer auch sein Gegenteil in ihren Körben oder Handtaschen. Die griechische Dame Tyche heißt darum übersetzt "was mir begegnet" und ihre lateinische Freundin Fortuna leitet ihren Namen gleich ganz vom Zufall ab. Der Mensch ist diesen Mächten ausgesetzt, so ist das Denken der Antike.

Allerdings gab es auch andere Vorstellungen. Bei den Germanen etwa fand sich schon früh die Idee einer sippenhaften Veranlagung zum Glück. In der Sprache der Germanen nannte man das aber nicht Glück, sondern Heil. Der Führer einer Sippe galt als der Heilsträger und der Heilsbringer für das ganze Volk. Darum auch wurde er mit diesem Wort gegrüßt, damit das Heil in der Wirkmacht des Wortes bei ihm bliebe. Dass solche Vorstellungen in der Neuzeit in pervertierter Form die Welt und die Menschheit in vollkommenes Unglück gestürzt haben, zeigt einmal mehr die Ambivalenz des Begriffes und seiner Deutungen.

Als das Christentum aufkommt, trifft es mit seiner Vorstellung des einen Gottes, der nicht nur Himmel und Erde geschaffen hat, sondern die Geschichte begleitet und lenkt, auf die Formen des Denkens, wie ich sie eben grob skizziert habe. Für eine Glücksgöttin war da kein Raum, und so musste man eine andere Form der Herleitung des Glücks definieren.

Der Kirchenvater Augustinus, der im 5. Jahrhundert in Nordafrika lebte, schreibt: "Wenn das Glück keine Göttin ist, sondern in Wirklichkeit ein Geschenk Gottes, so muss man nach Gott fragen, der es geben kann; man muss die schädliche Menge der falschen Götter beiseitelassen."

Im Alten Testament gibt es eine Schlüsselerzählung, die die menschliche Hoffnung auf Glück - gepaart mit Erfolg - vorträgt und gleichzeitig deutet. Es handelt sich um eine Traumgeschichte. Gott erscheint König Salomo im Traum und stellt ihm eine Aufgabe: "Bitte, was ich dir geben soll." Salomo, der später für seine Weisheit gerühmt werden wird, nimmt sich Bedenkzeit und gibt dann folgende Antwort: "So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist." (1 Kön 3, 9)

Gott gefiel diese Antwort, weil Salomo gerade nicht um das gebeten hatte, was landläufig als Synonym und Inhalt von Glück gehandelt wurde: Reichtum, langes Leben oder der Tod der Feinde.

Vielmehr zielt seine Antwort auf einen Zustand des Glücklichseins, und der besteht, wenn man es wörtlich aus dem Hebräischen übersetzt, in einem "hörenden Herzen". Hier verbinden sich dann Glück in Zeit und Ewigkeit: das Herz des glücklichen Menschen ist nicht ohne Rückbindung, ohne Religion, ohne Gott. Und es ist niemals verschlossen für die Bedürfnisse anderer Menschen.

Der erste Psalm im Alten Testament nimmt genau diesen Gedanken auf. Wörtlich übersetzt beginnt er mit den Worten: "Glücklich ist, wer nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!"

Auch die Seligpreisungen aus der Bergpredigt Jesu im Matthäusevangelium nehmen Menschen in den Blick, deren Leben gerade nicht mit äußerlichen Gütern gesegnet ist. Es werden solche selig gepriesen, deren Leben eher bescheiden ist. Sie sollen wissen, dass eine lebendige Beziehung zu Gott auch ein einfaches Leben adelt und eine Gewissheit schenkt, die kein Reichtum und kein gesellschaftliches Ansehen je bieten könnten: die Gewissheit nämlich das ihr Glücklichsein auch durch den Tod nicht genommen werden kann, sondern Fortsetzung und Erfüllung in der Ewigkeit finden wird. Das ist ein neuer und wichtiger Aspekt im Verständnis des Glücks. Es liegt im Ratschluss Gottes für jeden Menschen bereit und vollendet sich in seinem Reich, so der theologische Gedanke.

An der Entfaltung dieses Gedankens im Leben hier wirkt der Mensch mit, weil er in der Lage ist zu reflektieren. Christliche Ethik ruft zur Achtsamkeit und zur Unterscheidung, ruft gleichzeitig zur Bescheidenheit, ruft vor allem zur Gemeinschaft, wenn es um das Glücklichsein geht.

Das große Glück ist jedoch die schenkende und empfangene Liebe - zwischen zwei Menschen, von denen wir ja nicht sagen, sie hätten Glück, dass sie einander haben. Vielmehr sagen und sehen wir oft genug, dass sie glücklich sind. Das aber bedarf der Pflege, der immer wieder neuen Bewusstheit und der Erinnerung, damit das Gefühl wach bleibt und nicht zur Gewohnheit wird. Es braucht Hingabe und Vertrauen.

Und das ist im Tiefsten eine religiöse Haltung, die lernt, die Eigenliebe "abzubauen" zugunsten der Nächstenliebe.

Zu Anfang habe ich von Hans geschrieben. Dem Hans aus dem Märchen. Wie war das noch?

Sieben Jahre war Hans bei seinem Herrn gewesen und hatte für ihn gearbeitet. Nun fand er: "Herr, meine Zeit ist herum, nun will ich gerne wieder heim zu meiner Mutter. Gebt mir meinen Lohn!"

Er bekam einen Klumpen Gold. Aber das Gold wird ihm lästig, weil es schwer zu tragen ist. So tauscht er nacheinander eins gegen das andere, weil ihm immer wieder besser scheint, was andere haben als was er besitzt: ein Pferd, eine Kuh, ein Schwein, eine Gans, am Ende ein Schleifstein; und der fällt ihm schließlich in den Brunnen. "Mit leichtem Herzen und frei aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war."

Auch das lässt sich religiös deuten, und der Heimweg als glücklicher, unbeschwerter Weg in die Ewigkeit.

Alexander Röder ist Hauptpastor am Michel