Die klassischen Konzerte des Länderschwerpunkts

Das Wort „Dreiklang“ bekommt eine ganz neue Note, wenn man es in Verbindung mit dem ziemlich einzigartigen Kulturraum Baltikum bringt. Drei kleine Länder, jedes mit einer ganz eigenen Klangfarbe und sehr unterschiedlichen Traditionen, bilden am nordöstlichen Rand der Ostsee, weit entfernt vom Zentrum Europas, eine harmonische Einheit. Tonangebend in den klassischen Konzerten des Länderschwerpunkts Baltikum sind wohl vor allem zwei Dirigenten aus Lettland: Mariss Jansons und Andris Nelsons.

Der ältere, Jansons, international verehrt, dem jedes Orchester – und gilt es normalerweise auch als noch so bockig – verzückt jeden Wunsch von der Taktstockspitze abliest, erst recht, weil er sich seine Auftritt mittlerweile gut einteilt. Der andere, Nelsons, ebenfalls international heiß begehrt, nur jünger. Und Jansons‘ Schüler. Einen Vergleich, wie sehr sich beide in ihren Unterschieden ähneln, ermöglicht zunächst das Hamburger Laeiszhallen-Konzert am 3.8., bei dem Jansons mit dem Münchner BR-Symphonieorchester zwei Klassiker seines Repertoires präsentiert: Schostakowitschs 6., die sein Lehrer Jewgeni Mrawinski 1939 im damaligen Leningrad uraufgeführt hatte, sowie Tschaikowskys „Pathétique“.

Nelsons wiederum bringt andere biografische Untertöne in seinem Programm zum Klingen: Er dirigiert beim Abschlusskonzert mit dem NDR Sinfonieorchester (24.8. Lübeck, 25.8. Kiel) Werke von Wagner. Nicht nur, weil ihm das, wie so vieles, ausgesprochen gut liegt (sein Bayreuther „Lohengrin“-Dirigat war vom Feinsten), sondern auch, weil Wagners kurvenreicher Lebenslauf ihn auch einmal kurz nach Riga führte. Jene Stadt, in der Nelsons geboren wurde und wo er – ebenso wie der vor 200 Jahren geborene Wagner – Musikdirektor am Theater war. Als kleine Hommage an den „Fliegenden Holländer“, der ohne Wagners Zeit in Riga nicht entstanden wäre, wird dessen Ouvertüre erklingen. Als Solistin in diesem Programm mit den Wesendonck-Liedern und einem Best-of aus dem „Ring“ und „Tristan und Isolde“ ist Nelsons‘ Ehefrau, die Sopranistin Kristine Opolais, mit im Rampenlicht.

Nicht nur das SHMF-Finale, auch der Start des Länderschwerpunkt-Sortiments wird komplett aus dem Baltikum geliefert. Das Auftaktkonzert am 13.7. im Kieler Schloss dirigiert der in Estland geborene Kristjan Järvi, ebenfalls – man ahnt es schon – Teil einer Dirigenten-Dynastie. Für den lettischen Akzent im Programm sorgt die Geigerin Baiba Skride, Litauen ist mit dem Cellisten Edvardas Armonas an dieser grenzüberschreitenden Koproduktion beteiligt. Neben Brahms‘ Doppelkonzert stehen Werke baltischer Komponisten: die 3. Sinfonie des Esten Erkki-Sven Tüür und der erste Satz aus der „Rock Symphony“ des Letten Imants Kalnins, der dieses Stück vor 40 Jahren als Protest-Note gegen die damalige sowjetische Obrigkeit in seiner Heimat zu Papier brachte. Dritter aus dem Staatenbund ist der junge Litauer Gediminas Gelgotas mit „Never Ignore the Cosmic Ocean“, einem Grenzgang zwischen E und U. Damit sich keines der drei Gastländer benachteiligt fühlen kann, liegt die praktische Ausführung in den Händen des Baltic Youth Orchestra, das Järvi 2008 ins Leben rief.

Kleiner besetzt, aber bestimmt ebenso hörenswert sind die Konzerte des Lithuanian Chamber Orchestra, das gemeinsam mit dem Cellisten und Dirigenten David Geringas auftritt. Das Programm für den Auftritt im Kieler Schloss (17.7.) ist durch und durch unbaltisch. Dort stehen, vielleicht auch als kleine Anspielung auf die vielen familiären Verbindungen zwischen baltischen Musikern, Werke aus der Bach-Dynastie an – von Carl Philipp Emanuel, von Johann Christian und natürlich auch von Johann Sebastian Bach, mit Schuberts 5. als Wiener Kontrapunkt. Einen Abend später, in Wotersen, geht es wieder nachbarschaftlicher zu, mit Kompositionen dreier Russen: Arensky, sein Studienkollege Rimski-Korsakow sowie Tschaikowsky. Solist bei dessen Rokoko-Variationen ist der Cellist Vytautas Sondeckis.

Zu den längst legendären Exportartikeln der Musikregion Baltikum zählt der lettische Geiger Gidon Kremer genauso wie das 1997 von ihm gegründete Kammerensemble Kremerata Baltica. Nomen est auch hier omen, aber weil Kremer ein so vehementer Kosmopolit der Musik ist und nichts mehr hasst als Stil-Scheuklappen, werden seine Konzerte (24.7. Kiel / 25.7. Husum) weit mehr als eine Rundfahrt durch die Klanglandschaften seiner Heimat. Neben Werken von Barkauska und Pelecis holt Kremer mit dem Concertino op. 42 des Russen Weinberg, den „Russian Seasons“ von Leonid Desyatnikov und Alexander Raskatovs Tschaikowsky-Bearbeitung „The Season‘s Digest“ auch noch entschieden weiter aus: Er bietet eine Kostprobe aus dem Werkkatalog des Argentiniers Astor Piazzolla an, dessen Tristesse zwar ganz andere Wurzeln hat als die Melancholie des Baltikums, der aber dennoch wie ein entfernter Verwandter im Geiste klingt. Abrundung dieser Repertoire-Palette ist ein Kammermusik-Abend (9.7. Haseldorf) mit Werken von Liszt und Schubert.