Gino Weiß und Angelina Rosenberg sind Berater bei einem einzigartigen Sinti-und-Roma-Projekt der Großstadt-Mission. Sie gehören zu der Minderheit und wissen um deren Probleme. Sie leisten praktische Hilfe, plädieren aber auch für mehr Offenheit - auf beiden Seiten. Eine Nahaufnahme

aran wie die Idee entstanden war, kann Gino Weiß sich nicht mehr genau erinnern. Aber an das Gefühl, als er auf der Straße stand und zusammen mit einigen Jugendlichen Passanten befragte, was sie über Sinti und Roma denken. "Laut, dreckig", das sei meistens als Antwort gekommen. Oder auch: "Das sind doch Zigeuner." Solche, die über dem Lagerfeuer im Wohnzimmer kochen und ihre Kinder betteln schicken. Auch wenn das Ganze schon ein paar Jahre her ist, erzählt Weiß die Geschichte immer wieder. Er habe sich dann damals als Sinti zu erkennen gegeben, sagt er und lacht ein bisschen. Aber es ist kein fröhliches Lachen. "Die meisten Befragten waren ziemlich verblüfft, manchen war es auch peinlich."

Man kann sich das gut vorstellen, wenn man dem Mann mit den gestylten Haaren und dem akkurat gebügelten Hemd in der Beratungsstelle für Sinti und Roma in Lurup gegenübersitzt. Dabei ging es ihm bei dem Selbst-Experiment gar nicht um sich, sondern um die Jungen und Mädchen aus seiner Jugendgruppe. "Diese Vorurteile, die Ablehnung gegenüber unserem Volk sind einfach da und gehören zu unserem Alltag", sagt der 36-Jährige. "Es kommt darauf an, wie man damit umgeht."

Wenn er Sozialpädagoge wäre oder Lehrer, würde er jetzt wahrscheinlich von den Konzepten sprechen, um Kinder aus Sinti- und Roma-Familien stark zu machen, und dass der Zugang zu Bildung der Schlüssel für Chancengleichheit sei. Solche Sachen eben. Aber er sagt: "Ich habe gemerkt, dass viele von uns praktische Hilfe brauchen." Später wird er noch sagen: "Wenn unser Volk ruft, dann kann man nicht Nein sagen."

Das klingt ungewohnt, fast pathetisch. Aber Angelina Rosenberg lächelt nur zustimmend. Seit gut drei Jahren arbeiten die beiden zusammen in der Beratungsstelle des Projekts "Beruflich aktiv mit Roma und Sinti", einer Kooperation der Großstadt-Mission und des Hamburger Sinti-Vereins zur Förderung von Kindern und Jugendlichen. Sie sind Wegbereiter, manchmal auch Vorbild. Die Menschen, die kommen, schaffen es nicht allein, einen Ausbildungsplatz zu finden oder einen Job. Sie brauchen Hilfe, beim Ausfüllen von Hartz-IV-Anträgen. Manche können nicht lesen und schreiben. Die meisten sind in Hamburg aufgewachsen, aber sie sind fremd geblieben. "Sie haben Probleme damit, alles so zu machen, wie es vorgeschrieben ist", sagt Angelina Rosenberg. Dass sie um Rat fragen, ist nicht selbstverständlich. Es hat viel mit Vertrauen zu tun - damit, dass Gino Weiß und Angelina Rosenberg zu ihnen gehören.

Die beiden wissen, wie es ist, Sinti zu sein. "Die Familie, der Zusammenhalt sind am wichtigsten", sagt Gino Weiß. Er ist in Lurup groß geworden mit drei jüngeren Geschwistern. Erst kurz vor seiner Geburt waren die Eltern von einem Wohnwagenplatz in Niendorf in eine Wohnung gezogen. Seine Mutter hat nie lesen und schreiben gelernt. Aber sie und der Vater haben ihn unterstützt. "Und meine Lehrerin, das war ganz wichtig", sagt Gino Weiß. Er hat sich durch die Schule gekämpft, bis zum Hauptschulabschluss. "Ich wollte nicht wie die anderen von Haustür zu Haustür ziehen und Teppiche verkaufen. Ich hatte einen Traum, ich wollte Trabrennfahrer werden." Mit 16 Jahren begann er eine Lehre als Pferdewirt auf einem Reiterhof in der Nähe von Elmshorn. Er sagt: "Bei einem Deutschen."

Das sagt er häufiger, obwohl er deutscher Staatsbürger ist. Aber wenn das Anderssein zur Normalität gehört, von Generation zu Generation weitergegeben - dann ist Abgrenzung auch ein Schutz. Das erste Ausbildungsjahr lief sehr gut. Doch dann hatte Weiß einen schweren Unfall, eins der Pferde trat ihn. Er landete im Krankenhaus, bekam immer wieder epileptische Anfälle. Es dauerte ein Jahr, bis die Ärzte herausfanden, dass ein Blutgerinnsel schuld daran war. "Für mich war das ein Wunder", sagt Gino Weiß - und dass er in dieser Zeit zum Glauben gefunden habe. Er wurde wieder gesund, aber der Job war weg - und auch seine Zukunft.

Er verdingte sich als Abbruchunternehmer, wurde arbeitslos. Und er half, eine evangelische Sinti-Gemeinde im Hamburger Westen aufzubauen. "Licht und Leben" ist ein Ableger der Wilhelmsburger Gemeinde "Hütte der Geborgenheit", die sich nach der Sturmflut 1962 gegründet hatte.

Er heiratete Nadine, eine Sintezza, und bekam mit ihr zwei Söhne. Gino Weiß kümmerte sich um die Jugendlichen der Gemeinde, die - wie er früher auch - in der Schule ausgeschlossen und gehänselt wurden. Das war der Anfang seines neuen Lebens. "Ich habe meine Berufung gefunden", sagt er.

Seit Anfang 2010 ist ein unscheinbares Einfamilienhaus im Luruper Lüttkamp Anlaufstelle für Sinti und Roma, die teilweise schon seit Generationen in Deutschland sind. Es gibt eine Mutter-Kind-Gruppe, einen Nähkurs und Bewerbungstrainings. Manchmal geht es auch nur darum, dabei zu helfen, einen Ordner anzulegen. Immer mittwochs sitzen Robert Kwiatkowski, Angelika Weiß und einige andere an dem großen Tisch. "Teller, Backofen, Kochlöffel", liest eine ältere Frau langsam aus dem Heft vor ihr ab. An der Wand hängt ein Plakat mit Buchstaben. Acht Teilnehmer kommen jede Woche zum Alphabetisierungskurs. Die älteren sind über 50 Jahre alt, der jüngste 17.

Robert Kwiatkowski ist 52 Jahre alt. Zur Schule, sagt er, sei er kaum gegangen. "Wir sind viel gereist, haben in ganz Deutschland Blumen verkauft. Da spielte es keine Rolle, ob man lesen und schreiben konnte." Wie viele andere seiner Generation ist er auf dem Wohnwagenplatz in Niendorf aufgewachsen, hat nie einen Beruf gelernt. Heute lebt er von Hartz IV. "Ich habe erst zu spät gemerkt, wie wichtig Bildung ist", sagt der Luruper - und dass er froh ist, in dem Kurs zu sein. Angelika Weiß nickt. "Man war immer ein Außenseiter; wo andere ihre Unterschriften leisten, habe ich drei Kreuze gemacht." Jetzt ist sie eine der Besten im Kurs. Und achtet darauf, dass ihre Kinder regelmäßig zur Schule gehen. "Mein Sohn macht Abitur", sagt die 56-Jährige und lächelt stolz. Eine schöne Erfolgsgeschichte, aber auch immer noch ein Einzelfall. "Bildung hat bei vielen Sinti und Roma nicht den gleichen Stellenwert wie bei uns", sagt Ines Greizer, Projektleiterin bei der Großstadt-Mission. "Das muss erst wachsen." Die Kinder besuchten häufig Förderschulen. "Nicht weil die Kinder das Leistungsvermögen nicht haben", sagt die Diplom-Sozialwirtin, "sondern weil die Umstände zu schwierig sind". Immer wieder gäbe es Kinder, die nur sehr unregelmäßig in die Schule gingen.

"Da kommt viel zusammen", sagt Sinti-Beraterin Angelina Rosenberg. "Die Kinder fühlen sich in ihren Klassen fremd, werden manchmal auch beleidigt und ausgeschlossen. Sie fangen an, mit Abwehr zu reagieren." Und die Eltern, die selbst unsicher sind und ihre Kinder schützen wollen, könnten nicht reagieren. "Oft sind sie einfach hilflos."

Auch die 35-Jährige gehört von Anfang an zum Team der Beratungsstelle. Sie ist die Cousine von Gino Weiß, ihr Mann Christian Rosenberg spielt eine wichtige Rolle in der Hamburger Sinti-Community, hat die Gemeinde "Licht und Leben" initiiert und den Sinti-Verein. Die Verbindungen untereinander sind eng, man trifft sich sonntags in der kleinen freikirchlichen Kirche im Bahrenfelder Kielkamp zum Gottesdienst mit viel Musik, bei Familienfesten.

Ein geschlossener Kreis, mit klaren Regeln und einem jahrhundertealten Verhaltenskodex. Dass man Persönliches preisgibt, ist nicht selbstverständlich. "Das gehört uns", sagt Angelina Rosenberg, "unsere Sprache, unsere Kultur, das ist unser Schatz." Auch im Jahr 2013, in einer Zeit, in der Roma und Sinti längst offiziell als Minderheit anerkannt sind, ist das Trauma alter und neuer Verfolgung allgegenwärtig - und die Schutzmechanismen.

Angelina Rosenberg ist eine gut aussehende Frau, mit langen schwarzen Haaren. An diesem Tag trägt sie funkelnde Ohrringe und einen knielangen Rock, wie es sich für Sinti-Frauen schickt. Sie denkt schnell, und spricht auch so. Selbstbewusst. "Ich habe mich nicht unterkriegen lassen", erzählt sie dann doch, "mich in der Schule notfalls auch mal mit Schlägen gewehrt."

Auch während ihrer Lehre als Friseurin gab es Kunden, die sich nicht von "der Zigeunerin die Haare waschen lassen wollten". Angelina Rosenberg ließ sich nicht beirren. Mit 18 Jahren hatte sie ihren Gesellenbrief in der Tasche und war verheiratet. Im Jahr drauf wurde ihr erstes Kind geboren. "Ich bin eine Sintezza durch und durch: Mutter, Hausfrau, Glucke", sagt sie.

Aber Angelina Rosenberg weiß auch, dass die alten Strukturen in der heutigen Zeit nicht mehr funktionieren. Deshalb will sie andere unterstützen, ihren Weg zu finden. 15 Stunden pro Woche arbeitet sie in der Beratungsstelle, außerdem hat sie wie ihr Kollege Gino Weiß eine Qualifikation der Schulbehörde zum Bildungsberater gemacht und arbeitet auch in Schulen als Vermittlerin. Die beiden Sinti-Berater helfen in kritischen Situationen etwa bei notorischen Schulschwänzern - auch außerhalb der Dienstzeiten. "Wir kennen unser Volk", sagt Gino Weiß und erzählt von einem Berufsschüler, der monatelang nicht zur Schule gegangen war, und der nach langen Gesprächen jetzt sogar ein Praktikum macht. Wichtig sind auch Informationsveranstaltungen an Schulen - "damit auch das Verständnis der Deutschen wächst", sagt der Sinto.

Gerade jetzt, wo mehr Roma aus Südosteuropa nach Hamburg kommen, ist das besonders dringlich. Aber auch die Betreuung der hier lebenden Sinti steht vor neuen Herausforderungen. Zweimal schon wurde das einzigartige Beratungsprojekt verlängert, das von der Stadt Hamburg und dem Europäischen Sozialfonds mit jährlich etwa 170.000 Euro gefördert wird. Im Oktober 2012 wurde es sogar als Best-Practice-Beispiel für die Integration von Roma und Sinti auf europäischer Ebene ausgezeichnet.

Ende des Jahres läuft die Finanzierung aber endgültig aus. "Es wäre wünschenswert, dass es eine Neuauflage oder eine Fortführung gibt", sagt Projektleiterin Greizer. "Es ist etwas in Gang gekommen. Die Menschen verstehen, dass es besser ist, eine Perspektive zu bekommen und nicht immer auf Hartz IV angewiesen zu sein."

Aber es ist ein Weg der kleinen Schritte. Was ist Integration, was Assimilation? Wo geht es um rückwärtsgewandtes Beharren, wo um handfeste Ressentiments? "Wir haben ja schon so viel aufgegeben und sind moderner geworden", sagt Angelina Rosenberg, und ihre Augen blitzen. Es gibt Erfolge, aber es bleibt eine Gratwanderung.

Wenn man Gino Weiß fragt, was er seinen Söhnen für die Zukunft wünscht, sagt er: "Eine gute Ausbildung für meine Söhne, einen sicheren Arbeitsplatz, eine gute Frau." Eine Sintezza? "Ja", sagt er und lacht, "aber wichtiger ist es, dass es die richtige ist und gläubig." Da klingt er für einen Moment fast wie ein Deutscher.