Über die Zukunft der Energienetze in Hamburg wird in der Wahlkabine entschieden. Der Industrieverband warnt vor unkalkulierbaren Kosten

Auf die Hamburger kommen weitreichende Entscheidungen zu. Am 22. September dieses Jahres werden die Bürger der Hansestadt nicht nur über die künftige Bundesregierung mitentscheiden, sondern auch ihr Votum zum Rückkauf der Energienetze abgeben. Nachdem das Hamburgische Verfassungsgericht die Klage der CDU-Fraktion der Bürgerschaft gegen den Volksentscheid verworfen hat, steht der Abstimmung über die künftige Energiepolitik in der Wahlkabine nichts mehr entgegen. Dieses Ziel verfolgt die Bürgerinitiative "Unser Hamburg - unser Netz", die vom Umweltverband BUND, der Verbraucherzentrale und der evangelischen Kirche getragen wird. Neben der Infrastruktur für Strom und Fernwärme, die derzeit Vattenfall gehört, steht auch das Gasnetz von E.on zur Disposition.

Leere städtische Kassen und die Bemühungen der EU-Kommission, den Energiemarkt zu liberalisieren, hatten dazu geführt, dass Ende der 90er-Jahre die damaligen städtischen Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) an den schwedischen Staatskonzern Vattenfall verkauft wurden. HeinGas wurde vom Düsseldorfer E.on-Konzern, einem der größten privaten Strom- und Gasversorger in Europa, geschluckt.

Es war ein Wahlversprechen von Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), sich mit 25,1 Prozent an den Netzen von Vattenfall und E.on zu beteiligen. Bereits im Dezember 2011 war der Deal mit den Energiekonzernen perfekt. Die Beteiligung mit Sperrminorität kostet Hamburg 543 Millionen Euro. Um die Energiewende in Hamburg (s. S. 9) voranzutreiben, verpflichten sich die Konzerne, 1,6 Milliarden Euro in alternative Projekte investieren. Dazu gehört der kürzlich genehmigte Bau eines Wärmespeichers auf dem Gelände des Heizkraftwerks Tiefstack. "Mit diesem Speicher wird die Integration erneuerbarer Energien ermöglicht", sagt Frank May, Geschäftsführer der Vattenfall Wärme Hamburg GmbH.

Die Bürgerinitiative setzt sich dagegen für einen vollständigen Rückkauf der Netze ein, um langfristig von Vattenfall unabhängig zu werden. Die öffentliche Hand könne besser für Transparenz, Wettbewerb und Fairness bei der Netz-Bewirtschaftung sorgen, lautet eines der Argumente von "Unser Hamburg - unser Netz". "Wir erhoffen uns vom Rückkauf der Netze, dass durch mehr Wettbewerb die Preise für die Verbraucher sinken", sagt Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg.

Die Initiative taxiert die Kosten einer Netzübernahme auf 1,5 Milliarden Euro. Es geht nicht nur um Wettbewerb und billigeren Strom - sondern um die Stärkung erneuerbarer Energien. Das Kalkül: Werden von der Stadt auch die Anlagen für die Erzeugung von Fernwärme gleich mit übernommen, könnten die von klimaschädlicher Kohle auf Kraft-Wärme-Kopplung umgestellt werden. Im Stromnetz soll mit intelligenten Technologien ein Teil der Stromnachfrage gezielt auf die Zeiten gelenkt werden, wo ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Die Netzübernahme soll zusammen mit dem städtischen Versorger Hamburg Energie den Grundstein für starke Hamburger Stadtwerke bilden. Die alleinregierende SPD hält die bisherige Beteiligung für ausreichend. CDU und FDP lehnen nicht nur den bisherigen, sondern auch jeden weiteren Rückkauf ab. Grüne und Linkspartei stehen aufseiten der Bürgerinitiative. In einer Studie widerspricht das Hamburgische WeltWirtschaftsinstitut (HWWI) der Hoffnung, die Preise für die Verbraucher könnten bei einer vollständigen Übernahme sinken. Denn die Netzentgelte für das Stromnetz werden von der Regulierungsbehörde gedeckelt. Lediglich beim Fernwärmenetz der Hansestadt gebe es einen größeren Spielraum, der aber auch nicht ausgereizt werden kann, wenn für die Verbraucher günstigere Preise durchgesetzt werden sollen. Bei der Durchleitung haben die erneuerbaren Energien bereits heute den Vorrang. "Wer Einfluss auf den Energiemix nehmen will, muss in die Energieproduktion einsteigen, nicht in die Netze", heißt es in der Studie. Gleichzeitig haben die Wirtschaftsforscher aber auch die Befürchtung, dass die beim Rückkauf ausgehandelte garantierte Rendite für die Stadt für die Unternehmen einen deutlichen Kostenanstieg bedeutet, die auf die Kunden umgelegt werden.

Die Hamburger Industrie ist mit der bisherigen Beteiligung zufrieden. "Damit hat die Stadt einen guten Kompromiss verhandelt. Jedes weitere Prozent kostet Hamburg Geld ohne energiepolitischen Mehrwert", sagt Michael Westhagemann, Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg. "Die Stadt hätte als Netzbetreiber wegen der Regulierungshoheit der Bundes-Netzagentur kaum Gestaltungsspielräume bei den Netzentgelten." Auch die Handelskammer hält die 25-prozentige Beteiligung für eine vernünftige Kompromisslösung. Weiteren Bestrebungen erteilt sie eine deutliche Absage: "Die Volksinitiative ist ein unrühmliches Beispiel für direkte Demokratie", sagt deren Präses Fritz Horst Melsheimer.

Falls die Abstimmung im Sinne der Initiatoren ausgeht, werden die Verträge zwischen der Stadt und Vattenfall und E.on nichtig. Dann wird die Beteiligung aufgelöst, Hamburg bekommt das Geld wieder, die Energieversorger ihre Anteile. An die zugesagten Investitionen von 1,6 Milliarden Euro sind sie nicht mehr gebunden. Hamburg hätte dann eine weitere Baustelle bei der Energiewende.