Fachkräfte von morgen: In Zeiten sinkender Bewerberzahlen bekommt die Nachwuchsförderung auch für Hamburger Firmen eine immer größere Bedeutung

Gut 1500 Bewerbungen für Lehrstellen - vor fünf Jahren waren es noch 2000 Anfragen. Die Zahlen aus der Personalabteilung der Kupferhütte Aurubis zeigen nach unten. "Das ist zwar Jammern auf hohem Niveau", sagt Wolfgang Gross, Leiter Aus- und Fortbildung. Doch setzt sich der Trend fort, wird es langfristig schwierig, die hohe Ausbildungsquote von acht Prozent zu halten. Der Grundstoffproduzent beschäftigt insgesamt 230 Azubis an den Standorten in Hamburg und im nordrhein-westfälischen Lünen.

Nicht nur bei Aurubis nimmt man den Nachwuchs wichtig. "Die Industrie sorgt für Stabilität im Auf und Ab der Konjunktur und bildet in Hamburg die drittstärkste Gruppe bei den Ausbildungsplätzen", sagt Fin Mohaupt, Leiter der Abteilung Aus- und Weiterbildung der Handelskammer Hamburg. Außerdem stehen die produzierenden Unternehmen für Vielfalt bei den Lehrstellen - "mit einer enormen Bandbreite von gering- bis hochqualifizierten Jobs", so Mohaupt.

Vom Fachlageristen, Industriemechaniker oder Elektroniker über den Chemielaboranten bis zur Industriekauffrau oder dem Dualen Studiengang Business Administration - allein Kupferproduzent Aurubis bietet 18 verschiedene Berufe zur Ausbildung an. Ähnlich sieht es bei Siemens aus. "Die Zahl der Schulabsolventen wird bis 2020 zurückgehen, die Konkurrenz um geeignete Bewerber härter", sagt Siemens-Ausbildungsleiter Ronald Bruhn. Wo Konzerne wie Aurubis oder Siemens zurzeit noch gut dastehen, haben es kleinere Firmen oft heute schon schwer. "Insbesondere für technische Berufe lässt sich kaum guter Nachwuchs finden", sagt Jürgen Czischke, Prokurist bei Schweißsysteme-Hersteller Dinse. Viele Schüler hätten einen Betrieb wie Dinse mit 140 Mitarbeitern schlicht nicht auf dem Zettel.

Der demografische Wandel befeuert den Tatendrang in den Personalabteilungen. "Die Industrie hat die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt, viele Firmen sind längst aktiv", beobachtet Experte Mohaupt. Das zeige sich auch auf der regelmäßig stattfindenden Hanseatischen Lehrstellenbörse der Handelskammer - die Industrie ist hier inzwischen am stärksten vertreten.

Not macht erfinderisch. Die einmal im Jahr stattfindende "Lange Nacht der Industrie" hat der Industrieverband Hamburg auch zur Akquise von Nachwuchs mit ins Leben gerufen. Einmal im Jahr öffnen Betriebe ihre Türen, um über Berufe, Technologien und Produkte zu informieren. Kooperationsprojekte wie MINTprax, gefördert unter anderem vom Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordmetall, zeugen ebenfalls von Umtriebigkeit. Firmen unterstützen dabei Berufsschulen und Stadtteilschulen in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Und die Initiative Naturwissenschaft und Technik (NaT) bringt Hochschulen, Schulen und Unternehmen zusammen, um mehr Praxis in den Unterricht zu transportieren. "Wir wollen mehr Schülerinnen und Schüler für Naturwissenschaften begeistern", sagt Dr. Philipp Pries vom Maschinenhersteller Jungheinrich. Ende 2012 wurden der Gabelstaplerbauer und der Energieversorger E.on Hanse für ihr Engagement in der Nachwuchsförderung von Wirtschaftssenator Frank Horch und der NaT-Initiative ausgezeichnet.

"Wir sind nicht nur auf den einschlägigen Messen unterwegs", sagt Gross von Aurubis. Effektiver sei der direkte Draht in die Schule, wie über das Aurubis-Projekt Modell 9-Plus. Über eine Kooperation mit der Schule auf der Veddel kommen jährlich zwölf Praktikanten, die nach der 9. Klasse keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, für ein Jahr drei Tage wöchentlich zu Aurubis und besuchen zwei Tage weiter die Schule. "80 Prozent der Praktikanten übernehmen wir anschließend in die Ausbildung", sagt Gross. In der Stadtteilschule Barmbek hingegen unterrichtet regelmäßig ein Aurubis-Ausbilder praxisnah Mathematik oder Technik. Insgesamt arbeitet das Kupferwerk mit acht Schulen zusammen.

Bei Siemens bekommen mit dem Projekt 250Plus bundesweit 250 Bewerber eine Chance - 15 bis 20 davon aus dem Norden -, die sonst wegen schlechter Noten durchs Raster der Personaler fallen. "Viele von ihnen sind hochmotiviert", sagt Bruhn. Mit dem Albrecht-Thaer-Gymnasium in Stellingen arbeitet das Unternehmen rund um die MINT-Fächer zusammen. Es werden Preise für Leistung ausgelobt, Exkursionen zu Siemens-Anlagen ebenso organisiert wie zu technischen Messen oder Stunden zur Berufsorientierung. Und mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) schuf der Konzern im Jahr 2007 den Dualen Studiengang Bachelor for Engineering Elektro- und Informationstechnik inklusive Elektroniker für Automatisierungstechnik. "Diese Lücke haben wir auf eigene Initiative geschlossen, weil wir hier einen Bedarf sehen", sagt Bruhn.

Auch die Mittelständler sind agil. So nimmt Dinse nicht nur am Girls Day teil, vergibt Praktikumsplätze und begleitet Diplomarbeiten, sondern unterstützt dieses Jahr im Rahmen des Nordmetall Cups das Gymnasium Grootmoor. Dabei sollten die Schüler einen von einer Gaspatrone angetriebenen Rennwagen am PC entwerfen und diesen dann auf einer Fräsmaschine bauen. "Wir waren begeistert vom Enthusiasmus und arbeiten jetzt weiter mit der Schule zusammen", sagt Dinse-Prokurist Czischke. So stellt das Unternehmen zum Beispiel Arbeitsmaterial für naturwissenschaftliche Fächer zur Verfügung und tüftelt bereits an gemeinsamen Projekten - auch in Hinblick auf die Zukunft: "Eventuell sind diese Schüler ja unsere Konstrukteure von morgen", sagt Czischke.