IVH-Chef Michael Westhagemann über CO2-Ausstoß, Eurozone und mögliches Wachstum in Hamburg

Der Vorstandsvorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH), Michael Westhagemann, wünscht sich eine hohe Akzeptanz der Industrie in der Bevölkerung. Als Innovationstreiber und Jobmotor ist der Sektor für Hamburg unverzichtbar.

Hamburger Abendblatt:

Der IVH ist seit 50 Jahren die Stimme der Hamburger Industrie - was wünschen Sie sich zum Jubiläum?

Michael Westhagemann:

Wir möchten auch in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich zum Fortschritt und Wohlstand der Region beitragen. Hamburg gehört zu den bedeutendsten Industriestandorten Europas - und das soll auch so bleiben. Ich würde mir deshalb wünschen, dass Politik, Gesellschaft und Wirtschaft möglichst oft an einem Strang ziehen, um die gewaltigen Herausforderungen, die vor uns liegen, erfolgreich zu bewältigen. Und wenn die Menschen in der Stadt sagen, Industrie ist gut für uns, dann bin ich zufrieden.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz in der Bevölkerung ein?

Westhagemann:

Wir fühlen uns wohl in Hamburg. Die Resonanz auf unsere Arbeit ist positiv. Das merken wir zum Beispiel während der "Langen Nacht der Industrie". Einmal im Jahr öffnen die Unternehmen ihre Tore und zeigen Interessierten, wie an den Maschinen gearbeitet und in den Laboren geforscht wird. Industrie ist nicht mehr das Schmuddelkind der Wirtschaft mit Schornsteinen, aus denen schwarzer Rauch aufsteigt. Große Hamburger Industrieunternehmen haben sich bereits 2007 freiwillig verpflichtet, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Diese Vereinbarung wurde erst vor wenigen Wochen bis 2018 erneuert. Wir erhöhen durch den Einsatz modernster Technik die Effizienz in der Produktion und setzen damit ein deutliches Zeichen für praktischen Umweltschutz. Ende dieses Monats wird der IVH auch die von uns mitbegründete UmweltPartnerschaft Hamburg verlängern, die sich für freiwilligen und kooperativen Umweltschutz einsetzt.

Die Industrie in einem Hochlohnland ist zu Innovation und Effizienz verdonnert, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Wie robust ist die industrielle Basis?

Westhagemann:

Hamburgs Industrie ist sehr gut aufgestellt und deckt von der Forschung bis zur Produktion und verstärkt durch ein breites Spektrum von spezialisierten, industriellen Dienstleistern die gesamte Wertschöpfungskette ab. Das macht uns stark, weniger anfällig für Konjunkturkrisen und international wettbewerbsfähig. Der Anteil an der Hamburger Wirtschaftsleistung ist mit 16 Prozent vergleichsweise groß - und den wollen wir auch mindestens halten.

Sie trotzen der Rezession in der Eurozone?

Westhagemann:

Es gibt sicherlich konjunkturelle Risiken. Was die Industrie in Hamburg betrifft, ist die Stimmung aber noch sehr gut. Wir bleiben für 2013 verhalten optimistisch. Die Krise in den europäischen Partnerländern trifft unsere Unternehmen weniger. Ein großer Teil des Exportgeschäfts wird außerhalb des Euroraums etwa in Asien, Südamerika oder den USA gemacht. Dort stehen die Zeichen auf Wachstum. Ich bin überzeugt, dass die Industrie auch dieses Jahr Hamburgs Konjunktur positive Impulse geben wird.

Was stimmt Sie so optimistisch?

Westhagemann:

Hamburg profitiert bislang stark von der Energiewende. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird auch in den kommenden Jahren der Region zu einem industriellen Schub verhelfen - vorausgesetzt, Strom bleibt für die Unternehmen bezahlbar. Dabei meine ich nicht nur die energieintensiven Unternehmen, sondern besonders auch unseren industriellen Mittelstand. Diese Unternehmen tragen heute einen großen Teil der Belastungen durch die Energiewende und müssen sich ebenfalls im internationalen Wettbewerb behaupten. Unsere Unternehmen konkurrieren mit Betrieben aus Ländern, die ihren Firmen keine vergleichbaren Kostenlasten auferlegen. Zudem ist die gut funktionierende und branchenübergreifende Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ein Garant für die Innovationskraft der Hamburger Industrieunternehmen. Überdies ist der Hafen, der mitten in der Stadt liegt und eine Logistik der kurzen Wege ermöglicht, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Für die Industrie ist das ein gewaltiger Standortvorteil, der auch immer wieder neue Unternehmen in die Stadt bringt.

Wirtschaft braucht Nutzflächen, Menschen brauchen Wohnraum. Wie groß ist hier das Konfliktpotenzial?

Westhagemann:

Es gibt die Vereinbarung zwischen Senat, IVH und Handelskammer, genügend Gewerbe- und Industrieflächen mit für uns akzeptablen Auflagen zur Verfügung zu stellen. Wir haben deshalb keine Sorge, dass das Wohnungsbauprogramm des Senats zulasten der Industrie geht. Im Gegenteil: Wir benötigen in Hamburg für unsere Mitarbeiter und für Studenten bezahlbaren Wohnraum. Das ist ein gravierender Standortfaktor.

Was tut die Industrie im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte?

Westhagemann:

Zu allererst bieten wir attraktive Jobs mit unterschiedlichsten Anforderungsprofilen. Wir fördern konsequent und auf stabilem Niveau den Nachwuchs. In der Hamburger Industrie werden jedes Jahr rund 1300 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Dazu kommen mehrere Hundert bei den industriellen Dienstleistern. In Hamburg sind eine Vielzahl hochspezialisierter Unternehmen ansässig, die in ihrer Branche als Innovationstreiber gelten und global erfolgreich sind, aber von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Diese "Hidden Champions", oft im industriellen Mittelstand, bieten zum Teil sehr spezielle und attraktive Ausbildungsgänge an, die es in anderen Regionen so nicht gibt.

Bürgermeister Scholz kritisiert, dass die Industrie zu wenige Ausbildungsplätze für Schüler mit Haupt- und Realschulabschluss bietet.

Westhagemann:

Wir stellen uns diesem Problem mit differenzierten Ausbildungsangeboten für Schüler mit einfachen Schulabschlüssen und mit Hochschulzugangsqualifikation. Wir geben auch schwächeren Schülern die Chance auf einen zukunftsfähigen technischen Ausbildungsplatz. Der Eindruck, wir würden uns nur die Besten herauspicken, ist falsch. So gibt es im produzierenden Gewerbe Programme für junge Menschen, die nach Verlassen der Schule noch nicht ausbildungsreif sind.

Wie ist das Verhältnis der Industrie zur Politik?

Westhagemann:

Wir sind insgesamt sehr zufrieden mit der Arbeit des Senats. Es gibt wenig Reibungspunkte. Die Rahmenbedingungen dafür, dass Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammenfinden, um neue Technologien zu entwickeln und einzusetzen, sind sehr gut. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz und Wirtschaftssenator Frank Horch wollen Hamburg zu einer Innovationshauptstadt machen und lassen dem auch Taten folgen. Das war unter dem Vorgängersenat nicht immer der Fall. Schwarz-Grün hat sich insbesondere mit den erneuerbaren Energien schwergetan.

Nicht jedem Ihrer Mitgliedsfirmen dürfte der Umbau der Energieversorgung gefallen. Ist es schwierig, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen?

Westhagemann:

Wir sind kein Verbändeverband, das erleichtert die Arbeit deutlich. Wir tauschen uns pragmatisch auf Unternehmensebene aus. Auch energieintensive Unternehmen können vom Boom der Erneuerbaren profitieren. Beim Bau von Windkraft- oder Solaranlagen ist die Grundstoffindustrie Teil der Wertschöpfungskette. Allerdings ist es zwingend erforderlich, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu reformieren. Die vorgeschlagene stärkere Beteiligung der stromintensiven Unternehmen an den Kosten der Energiewende ist inakzeptabel und würde zur Abwanderung der betroffenen Firmen führen. Deshalb plädiere ich für eine Energiewende der Vernunft. Die Stromversorgung der Zukunft muss sicher, CO2-arm und bezahlbar sein.

Welche Rolle spielt dabei die Offshore-Windkraft?

Westhagemann:

Es gibt keine Alternative zu den Projekten in der Nordsee. Die Windbedingungen für die Stromgewinnung sind offshore erheblich besser als an Land. Die Windkraft auf dem Meer ist die zuverlässigste regenerative Energiequelle mit den meisten Nutzungsstunden im Jahr, die wir haben. Wir müssen schnell die Finanzierungs- und Haftungsrisiken in den Griff bekommen und den Ausbau der Offshore-Windkraft vorantreiben. Wenn uns das gelingt, profitieren nicht nur die norddeutschen Küstenländer. Auch die Perspektiven für alle wichtigen Cluster in Hamburg hängen davon ab. Luftfahrt, maritime Wirtschaft, Logistik und Windkraft werden beim Umbau der Energiesysteme miteinander arbeiten und voneinander profitieren.

Sie plädieren für eine enge norddeutsche Zusammenarbeit. Beim künftigen Windmesse-Standort 'Husum oder Hamburg' sind die Fronten verhärtet. Sehen Sie eine Kompromisslinie?

Westhagemann:

Das Thema Windmesse ist zugegebenermaßen sehr störend. Husum hatte zweifelsfrei einen großen Anteil an der Entwicklung der Windenergie in den vergangenen knapp 25 Jahren. Die sehr familiäre Messeatmosphäre ist sicherlich einmalig. Hamburg entwickelt sich aber mehr und mehr zum europäischen Zentrum für Windenergie. Da ist eine eigene Messe die logische Konsequenz - auch weil die Infrastruktur hier deutlich besser ist als in Husum. Ich hoffe sehr, dass es noch zu einem gemeinsamen Konzept kommt. Husum könnte beispielsweise einen regionalen Schwerpunkt setzen. Im Energiesektor gibt es noch weitere Baustellen.

Warum spricht sich der IVH gegen den vollständigen Rückkauf der Energienetze durch die Stadt aus?

Westhagemann:

Die Kosten einer 100-prozentigen Übernahme der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Nutzen. Allein für die Übernahme müssten rund 2,2 Milliarden Euro gezahlt werden. Hinzu kommen jährlich rund 200 Millionen Euro für Instandhaltung und Kreditzinsen. Die Stadt hat das Geld nicht und müsste neue Schulden aufnehmen oder massiv bei anderen Haushaltsposten kürzen. Für die gewünschte strategische Einflussnahme auf die Energienetze reicht die vom Senat angestrebte Beteiligung von 25,1 Prozent aus. Der bereits ausgehandelte Vertrag sichert außerdem Investitionen von 1,6 Milliarden, zu denen sich Vattenfall verpflichtet. Auf den Energiemix haben die Eigentumsverhältnisse keinen Einfluss. Jedem Anbieter muss der Netzzugang gewehrt werden. Wir hoffen, dass die Stadt nicht per Volksentscheid zum vollständigen Rückkauf gezwungen wird.

Zur Bedeutung des Hafens: Wie sehr macht Ihnen der Baustopp der Elbvertiefung Sorgen?

Westhagemann:

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war ein schwerer Rückschlag für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Die Verunsicherung bei Investoren und Reedereien, die auf den Ausbau der Fahrrinne warten, ist groß. Firmen treffen insbesondere kapitalintensive Investitionsentscheidungen strategisch, deshalb sind verlässliche Rahmenbedingungen wichtig.

Müssen denn Containerschiffe mit 18.000 TEU Ladekapazität Hamburg unbedingt anlaufen?

Westhagemann:

Für das langfristige Wachstum des Hafens ist es notwendig, dass auch die größten Schiffe Hamburg erreichen. Die exzellente Hinterlandanbindung nach Deutschland und Osteuropa ist ein großer Wettbewerbsvorteil, von dem insbesondere die Logistikbranche profitiert und der nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. 2015 ist Hamburg erstmals Gastgeber der Welthafenkonferenz. Wir sollten das zum Anlass nehmen, viel stärker unsere Standortvorteile herauszustellen und den Hafen zu einem technologischen Schaufenster der Innovationen machen. Der Hafen ist das größte Industriegebiet unserer Stadt mit Flächenpotenzialen für Betriebserweiterungen und Neuansiedlungen - auch im Bereich der erneuerbaren Energien.