Die Staatsoper verfällt dem Wagner-Wahn und zeigt in drei Wochen alle Inszenierungen

Ein bisschen Wagnerianer, das geht nicht. Ein bisschen schwanger ist ja, wenn auch aus ganz anderen Gründen, ebenso wenig machbar. Ganz oder gar nicht, das ist die wichtigste Regel in jenem Paralleluniversum aus Leitmotiven und Stabreimen, tragischen Helden und noch tragischeren Heldinnen, in das man sich begibt, sobald man von der Droge gekostet und sie für unwiderstehlich befunden hat.

Manche sind und bleiben tatsächlich ein Leben lang immun dagegen. Die hören dann Handlicheres und weniger Überwältigendes, Donizetti beispielsweise, oder Rossini oder Weber oder was sonst noch gerade so da ist im Spielplan. Andere, und vor allem um die soll es ab Mitte Mai drei prallvolle Wochen lang in der Staatsoper gehen, erwischt es mit Haut und Haaren, unheilbar.

Was Schubert hin und wieder vorgeworfen wird, das mit den himmlischen Längen, macht solche Fälle ja gerade an. Wer schon bei den vergleichsweise wenigen Charakteren in Mozarts Da-Ponte-Opern ins Trudeln gerät über die Frage, wer da mit wem und warum, der kann sich für das wüste Beziehungs- und Verwandtschaftsdurcheinander im "Ring" schon mal warm anziehen.

Wagnerianer ohne Wenn und Aber wollen nichts anderes mehr, die können auch nichts anderes mehr hören als Wagner. Er wird zur einzigen Referenzgröße in ihrem Geschmackszentrum. Alle anderen Opern sind dann kürzer, unanstrengender, weniger komplex und harmloser als die Meisterwerke aus dem Werkkatalog von Richard W., dem Einzigartigen. Auf jeden Fall sind sie schon deswegen schlechter, weil sie nun mal nicht von Wagner sind.

Solchen Menschen soll jetzt in Hamburg geholfen werden. Obwohl an etlichen anderen Häusern auch die eine oder andere Inszenierung zum 200. Geburtstag Wagners aus dem Repertoire geholt wird und auf dem Grünen Hügel Frank Castorf mit seinem "Ring" zeigen soll, ob er seine Hausaufgaben gemacht hat, kann nur die hiesige Staatsoper die zehn großen Stücke auf einen Schlag bieten: "Lohengrin", "Tristan und Isolde", "Der fliegende Holländer", "Die Meistersinger von Nürnberg", "Parsifal", "Tannhäuser" (am 22. Mai, dem Geburtstag seines Schöpfers) und zum Finale "Rheingold", "Walküre", "Siegfried", "Götterdämmerung". Als Überbrückungshilfe kurz nach Beginn dieses weltweit einzigartigen Marathons präsentiert Jutta Wübbes schrillere Hälfte Marlene Jaschke am 13. Mai mit "Auf in den Ring!" ihre Version der Tetralogie.

Und mehr noch: Die zehn Standardwerke werden von der Hausherrin selbst, Generalmusikdirektorin Simone Young, dirigiert. Dass die chronologische Reihenfolge nicht stimmt, ist angesichts dieses enormen Kraftakts spielend zu verschmerzen. Hauptsache Wagner, der Rest findet sich.

So gibt es nun also ein Wiederhören und vor allem -sehen mit Werkdeutungen, die in ihrer unterschiedlichen Gesamtheit zeigen, was Wagner alles sein kann. Die Bandbreite reicht von Harry Kupfers zu Beginn doch sehr erotisch aufgeladenem "Tannhäuser" bis zum romantischen Schauermärchen, das Marco Arturo Marelli aus dem "Holländer" machte. Ruth Berghaus' weltentrückter "Tristan" ist in seiner leidenschaftlichen Strenge längst ein Klassiker, ebenso Robert Wilsons kompromisslos stilisierter "Parsifal". Peter Konwitschnys "Lohengrin", in ein wilhelminisches Klassenzimmer verlegt, erwies sich als Sensationserfolg, Claus Guths "Ring"-Deutung wurde zu einem zentralen Bestandteil der Hauspolitik Youngs.

Um dem konzentrierten Wahn auch stimmlich allen Glanz zu verleihen, bietet das Haus einige wohlklingende Namen als Gaststars auf: Bo Skovhus als Beckmesser und Kurwenal, Linda Watson als Brünnhilde oder Christian Franz als Siegmund, Siegfried und Loge. Natürlich darf in diesem Reigen auch der Hornist a. D. und Ex-Philharmoniker Klaus Florian Vogt nicht fehlen, er gibt den Walther von Stolzing. Und damit die Dauergäste dieser zehnteiligen Pilgerfahrt am Ende nicht ganz so blank dastehen wie Wagner seinerzeit, hat das Haus eine Rabattkarte im Angebot, die "Wahncard 200" getauft wurde. Ein bisschen Spaß darf schon auch sein.

"Wagner-Wahn", 12.5 bis 2.6. Weitere Infos unter www.wagner-wahn.de ; Karten unter T. 35 68 68.