John Neumeier feiert 40 Jahre Hamburg Ballett mit Gast-Compagnien und opulentem Programm, das einen Rückblick auf sein Werk bietet

"Die ganze Welt ist Bühne." Für die Eröffnungspremiere "Shakespeare Dances" und die 39. Hamburger Ballett-Tage hat John Neumeier den ersten Vers aus Jacques' philosophischem Monolog über das trügerische Rollenspiel und unaufhaltsame Altern aller Frau'n und Männer in William Shakespeares Komödie "Wie es Euch gefällt" als Leitsatz gewählt. Während des dreiwöchigen Jubiläumsfestivals schauen der Intendant und sein Publikum auf Neumeiers 40-jähriges Schaffen zurück, auf die vielfarbigen, magischen Welten seiner Tanzkunst in den drei programmatischen Linien. Die groß angelegten Handlungsballette - etwa "Illusionen - wie "Schwanensee", "Die Kameliendame", "Die kleine Meerjungfrau" und natürlich "Nijinsky" in einer Doppelvorstellung mit dem Nijinsky-Epilog "Le Pavillon d'Armide/Le Sacre" sind zu sehen. Er präsentiert ebenso Choreografien zu sinfonischen Werken Gustav Mahlers ("Dritte Sinfonie" und "Purgatorio") wie auch sein wichtigstes Sakralballett, die "Matthäus-Passion", die nach langer Pause am Uraufführungsort in der Hauptkirche St. Michaelis zu erleben ist. Dazu gibt es Gala-Abende und Gastspiele des Bayerischen Staatsballetts mit Jerome Robbins' "Goldberg-Variationen" und des Balletts Monte-Carlo mit "Romeo und Julia".

In "Shakespeare Dances" vereinigt Neumeier Ausschnitte aus drei Balletten nach William Shakespeares Dramen "Hamlet", "Was Ihr wollt" und "Wie es Euch gefällt." Allerdings diene die intensive Beschäftigung mit einer literarischen Vorlage nicht dem Versuch, eine quasi "wortwörtliche" Übersetzung des bereits in den Stücken Ausgedrückten anzustreben, beschreibt der Choreograf seine Arbeitsweise. "Das wäre nicht nur sinnlos, sondern für einen selbstständig denkenden und fühlenden Künstler geradezu unmöglich", erklärt Neumeier. Vielmehr versuche er Text und Figuren für sich zu entdecken und szenisch aufzuschlüsseln, ohne sich sklavisch an das Original zu halten, entwickele eine eigene Bildfantasie und Dramaturgie. Denn Tanz sei eine "auf Gegenwärtiges und unmittelbar Auszudrückendes angewiesene Kunstform." George Balanchine bringt das Problem nüchtern auf den Punkt: Man könne in einem Ballett nun einmal nicht "Schwiegermutter" sagen.

So wie es auf der Schauspielbühne niemals gelingt, einen umfassenden, einen endgültigen "Hamlet" zu inszenieren, beschäftigte das komplexe Drama auch Neumeier immer wieder, ließ ihn sozusagen nicht los. Auf Drängen von Mikhail Baryschnikow, der unbedingt den Dänenprinzen tanzen wollte, entwarf der Choreograf die erste Fassung zu Aaron Coplands "Connotations for Piano and Orchestra", die 1976 mit Staraufgebot (Gelsey Kirkland, Marcia Haydée und Erik Bruhn) in New York uraufgeführt wurde. Eine zweite entstand dann für das Stuttgarter Ballett unter dem Titel "Der Fall Hamlet", 1977 auch in Hamburg aufgeführt. Auf Einladung des Königlich Dänischen Balletts schuf Neumeier 1985 in Kopenhagen "Amleth" und bezog sich auch auf die Geschichte Dänemarks im Saxo Grammaticus - eine Quelle, die Shakespeare ebenfalls benützte. Zur selben Musik von Michael Tippett hatte dann "Hamlet" 1997 Hamburg-Premiere in einer "endgültigen Fassung", in die choreografische und dramaturgische Elemente der Vorversionen einflossen.

Komödiantische Kontrapunkte zur spannungsvollen Tanztragödie setzen Szenen aus den Balletten "Vivaldi oder Was Ihr wollt" und "Mozart oder Wie es Euch gefällt". In ihnen zeigt sich der Choreograf von seiner heiteren Seite, bezaubert mit tänzerischer Leichtfüßigkeit und dem erotisch reizvollen Spiel des Geschlechtertauschs. Die in Männerkleider schlüpfende Viola aus "Was Ihr wollt" war Gigi Hyatts letzte Rolle. Zu Jahresbeginn übernahm die frühere Erste Solistin als künstlerische Leiterin die Ballettschule, deren Theaterklassen am 24. Juni die Staatsopernbühne gehört.

Wie es Neumeier in seinen Choreografien nach dramatischen Vorlagen darum geht, deren Essenz zu erfassen und den entschieden eigenen Zugang zu finden, so illustriert er auch niemals Musik. In "Mozart und Themen aus Wie es Euch gefällt " gelingt es ihm, eine eigenständige Ebene für Mozarts Musik zu schaffen, sodass Literatur, Musik und Tanz sich durchdringen und zur Synthese verschmelzen.

Nicht nur "Shakespeare Dances", auch die weiteren, in diesem einmaligen Retrospektive-Marathon zu sehenden Werke vermitteln einen lebendigen Eindruck von John Neumeiers unerschöpflicher Kreativität und dem von ihm in 40 Jahren für Hamburg geschaffenen choreografischen Schatz, den die Stadt sich bewahren und pflegen sollte. Die Hamburger 39. Ballett-Tage bieten einen gebündelten Überblick über das Oeuvre des Choreografen und geben zugleich ein Zeugnis seiner Begabung und Fähigkeit, immer neue Tänzer-Generationen zu einem hochklassigen Ensemble heranzubilden. Der kreative Austausch mit ihm entzündet Neumeiers tänzerische Fantasie und Inspiration, ermöglicht ihm, sich choreografisch neu zu erfinden und mit der Ballettkunst in all ihren Facetten vielschichtige Welten auf der Bühne zu entwerfen.

"Shakespeare Dances - Die ganze Welt ist Bühne" Wiederaufnahme 9.6., 18.00, Staatsoper, Karten zu 5,- bis 89,-; 28.6., 19.30, Staatsoper, Karten zu 4,- bis 89,- unter T. 35 68 68