Ein Komponistenporträt an drei Abenden

Den Namen Benjamin Britten verbinden die meisten Deutschen mit dem "War Requiem", das dieser zur Wiedereinweihung der im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Fliegerbomben zerstörten Kathedrale zu Coventry komponierte. Auf dem Kontinent kaum bekannt sind hingegen Brittens Liederzyklen. Sucht man nach Gründen für die Enthaltsamkeit, die deutsche Interpreten und Konzertveranstalter seiner Musik gegenüber an den Tag legen, stößt man unter anderem auf Theodor Adornos These, fortschrittliche Werke hätten "stachelig" zu sein.

Bilderstürmerei lag Britten jedoch fern. Zumindest an der Oberfläche klingt seine Muse eher geglättet. Grund genug, sich verführen zu lassen von der Idee der Elbphilharmonie Konzerte, den britischen Startenor Ian Bostridge zum "Artist in Residence" zu küren und im April gleich viermal aufs Podium der Laeiszhalle zu bitten. Drei seiner Konzerte sind Liedern und Gesängen Brittens gewidmet: ein einzigartiges Klangfest für den bedeutendsten englischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, dessen Geburtstag sich im November zum 100. Mal jährt. "Für seine Partien ist meine klare, leichte Stimme wie geschaffen", sagt Bostridge und setzt sich so zum Rollenerben des Tenors Peter Pears ein, Brittens Lebensgefährten, dem der Komponist zahllose Partien in die Kehle schrieb.

Der "Britten-Hommage" voraus geht am 15. April ein Gastspiel des renommierten römischen Orchesters der Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Unter der Leitung seines Chefdirigenten Sir Antonio Pappano bietet es die seltene Gelegenheit, eines der letzten Werke von Hans Werner Henze kennen zu lernen: die tragikomische Kantate "Opfergang Immolazione" nach dem dramatischen Gedicht "Das Opfer" von Franz Werfel. Da schlüpft Ian Bostridge in die Seele eines entlaufenen Schoßhündchens, das seinem Peiniger posthum Liebe predigt. Den reuigen Hundemörder singt der bassgewaltige Sir John Tomlinson. Als Trauermusik für den am 27. Oktober 2012 verstorbenen Henze erklingt nach der Pause die 6. Sinfonie von Tschaikowsky, deren Uraufführung dieser nur um wenige Tage überlebte.

Einen Abend voller Entdeckungen verspricht der erste Teil des Britten-Blocks am 26. April, zu dem Bostridge ein echtes All-Star-Ensemble eingeladen hat. Auf Texte verschiedener englischer Dichter komponiert, lassen die fünf über Jahrzehnte entstandenen, unterschiedlich besetzten "Canticles" den Schaffensweg erkennen, den Britten zwischen 1947 und 1974 zurücklegte. Mit drei Bearbeitungen geistlicher Gesänge englischer Barock-Komponisten (Purcell, Humfrey, Croft) für hohe Singstimme und Klavier rührt das Programm sodann an die historischen Wurzeln seiner Tonkunst. Den Auftakt des Konzerts, die "Songs and Proverbs of William Blake", singt der Engländer Simon Keenlyside.

Hauptwerk des Abends mit dem Motto "Bostridge, Britten & die Renaissance" ist der Gesangszyklus "The Holy Sonnets of John Donne". Er entstand gleich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Eindruck einer Konzertreise, die Britten und den Geiger Yehudi Menuhin durch die befreiten Konzentrationslager Deutschlands führte. Daseinsschmerz und Jenseitssehnsucht durchzieht die Heiligen Sonette des "metaphysischen" Lyrikers und anglikanischen Geistlichen John Donne (1572-1631). Zum Klavierpartner seiner Hamburger Residenz wählte Bostridge den exzellenten Liedbegleiter Julius Drake. Die trüben Gedanken der Sonette verscheucht der Sänger anschließend mit Lautenliedern des Renaissancekomponisten Dowland und seiner Zeitgenossen, gezupft von Elizabeth Kenny.

"Brittens Beziehung zu Bach" ist die spannende Programmidee des letzten Residenzkonzerts, das Ian Bostridge mit dem Hamburger Ensemble Resonanz vereint. Der Abend bietet sowohl Bach "pur", nämlich die Kantate "Ich habe genug" sowie Kanon und Fuge aus der "Kunst der Fuge", als auch Bach-inspirierten Britten: "Prelude and Fugue" für 18 Streicher (1943). Den krönenden Abschluss bildet Brittens beliebte Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 (1943) mit Ian Bostridge, Stefan Dohr (Solohornist der Berliner Philharmoniker) und dem Ensemble Resonanz. Dem Stück liegen Gedichte der Shakespearezeit, des Barocks und der Romantik zugrunde.

"In memoriam Hans Werner Henze" 15.4.: "Bostridge, Britten & Friends" 26.4.; "Bostridge, Britten & die Renaissance" 28.4.;"Bostridge, Britten & Bach" 30.4.; Alle Konzerte 20.00, Laeiszhalle. Karten unter T. 35 76 66 66; Elbphilharmonie Kulturgespräch zu Hans Werner Henze 11.4., 18.00, Elbphilharmonie Kulturcafé. Eintritt frei