Der junge Geiger Michael Barenboim steht im Zentrum eines Programms, das der Beziehung Schönbergs zu Brahms nachspürt

Das Bild vom Übervater ist ein Gemeinplatz mit mehr als einem Körnchen Wahrheit darin. Es hängt es vom Selbstbild eines Menschen ab, welchen Weg er gehen wird, und dieses Selbstbild wiederum wird geprägt von den eigenen Eltern. Weil die Fallhöhe so entmutigend wirken kann, kommt es selten vor, dass ein Kind eines berühmten Genies ebenfalls eine glanzvolle Karriere macht.

Bei der Familie Barenboim sieht es aber ganz danach aus. Michael Barenboim, Jahrgang 1985, Sohn der weltbekannten Pianistin Elena Bashkirova und des Pianisten, Dirigenten und amtierenden Musikgenies Daniel Barenboim, steigt gerade in Richtung Geigerhimmel auf. Seine Sporen hat sich Barenboim junior als Konzertmeister des vom Vater gegründeten East Western Divan Orchestra und beim Kammermusikfestival Jerusalem verdient, das seine Mutter ins Leben gerufen hat; mittlerweile ist er ein gefragter Solist. Er konzertiert mit Dirigenten wie Pierre Boulez und Zubin Mehta, und zum NDR Sinfonieorchester kommt er Ende April mit Michael Gielen, Träger des inoffiziell als Musik-Nobelpreis bezeichneten Siemens-Musikpreises.

Leicht macht er es sich nicht gerade, der junge Geiger. Für sein Hamburg-Debüt hat er sich ausgerechnet das Violinkonzert von Schönberg ausgesucht, das unter Geigern zum Schwierigsten der gesamten Violinliteratur zählt. Der Komponist scherzte einmal, der Interpret brauche eigentlich eine Hand mit sechs Fingern. Tatsächlich enthält der hochkomplexe Solopart horrende Schwierigkeiten, zudem entfaltet das Konzert seine Wirkung über weite Strecken nur, wenn in sehr zügigem Tempo gespielt wird. Und doch steht jede einzelne Note im Dienst des musikalischen Zusammenhangs. Um reines Ausstellen technischen Könnens geht es Schönberg nie.

Das Schicksal des Stücks ist leider typisch für Schönbergs Vita: Der Geiger Jascha Heifetz weigerte sich, es uraufzuführen, weshalb es schließlich Louis Krasner und der Dirigent Leopold Stokowski im Dezember 1940 in Philadelphia aus der Taufe hoben. Doch bei Publikum und Fachwelt stieß es auf Ablehnung. Dass das Violinkonzert, wenn auch als seltenes Ereignis, in den Kanon des Konzertrepertoires Eingang gefunden hat, hat Schönberg nicht mehr erleben dürfen. Er starb 1951 in bescheidenen Verhältnissen an seinem Exilort Los Angeles - einer der bedeutendsten Köpfe, die die Musikgeschichte hervorgebracht hat.

Wie kompromisslos Schönberg seinen eigenen Maßstäben folgte, zeigt sich in der Verehrung, die er den alten Meistern entgegenbrachte. Er, der sich selbst bereits 1909 von der Bindung an die Tonalität gelöst hatte. Brahms war ihm "der Fortschrittliche". Daran hielt er gegen alle zeitgeistlichen Anfeindungen fest, etwa gegen den Vorwurf, Brahms' Musik sei allzu sehr vom Kopf her gedacht.

Das NDR Sinfonieorchester spürt der Beziehung Schönbergs zu seinem großen Vorläufer in zwei sinfonischen Werken Brahms' nach, die auf der Variation beruhen, einem Konstruktionsprinzip, das in beider Schaffen einen zentralen Platz einnimmt. Den Anfang des Konzerts machen Brahms' "Variationen über ein Thema von Joseph Haydn". Als sie 1873 uraufgeführt wurden, hatte der 40-Jährige noch keine Sinfonie veröffentlicht; an seiner Ersten hat er ganze 14 Jahre gesessen - allzu sehr fühlte er sich im Schatten seines Vorbildes Beethoven. Einem Freund schrieb er: "Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen (Beethoven) hinter sich marschieren hört."

Die Haydn-Variationen nehmen sich im Vergleich mit Beethovens kühner Behandlung der Variation formal eher konventionell aus. Innerhalb dieses Rahmens aber zeigt Brahms all seine Instrumentierungskunst, seine ganze Ausdrucks- und Klangfarbpalette. Ausgehend von einem schlichten Choralthema, errichtet er ein komplexes Bauwerk aus Tönen, gekrönt von einer mächtigen Passacaglia.

13 Jahre und zwei Sinfonien später hatte er sich von dem erdrückenden Schatten des Vorbilds offenbar befreit. In seiner Sinfonie Nr. 3 in F-Dur bringt er die Kunst, aus einem Keimmotiv ganze Sätze zu entwickeln, zu einem Höhepunkt. Doch vor allem und unabhängig von Konstruktionsfragen hat er eine vor Energie und Verdichtung förmlich berstende Musik geschrieben.

Wie viele Schöpfungen des 19. Jahrhunderts geriet auch Brahms' Dritte in den Mahlstrom der musikalischen Ideologien. Bei der Wiener Uraufführung zischten die Wagnerianer im Publikum nach jedem Satz. Ganz anders dagegen ein früher Bewunderer: "Welch herrliche Melodien sind da zu finden! Es ist lauter Liebe", schrieb er an den Verleger Fritz Simrock. Es war kein Geringerer als Antonín Dvorák.

Abo-Konzerte 25. und 26.4., jeweils 20.00, Laeiszhalle. Karten zu 10,- bis 46,- unter T. 0180/178 79 80 oder www.ndrticketshop.de