Hotel Mama muss irgendwann schließen. Tipps, wie Eltern ihren Kindern zu einer eigenen Wohnung verhelfen können

Sie wollen nicht ausziehen aus dem Hotel Mama: In Deutschland leben vor allem junge Männer zwischen 18 und 24 Jahren zu 71 Prozent noch bei ihren Eltern, junge Frauen dagegen lediglich zu 57 Prozent. Wie Eltern Nesthocker zur Selbstständigkeit erziehen können, erklärt Psychologe Christoph Haberer von der ev. Beratungsstelle Stormarn.

1. Ab welchem Alter spricht man von einem Nesthocker?

Christoph Haberer:

Das Alter ist kein eindeutiges Kriterium. Es geht eher um den Entwicklungsstand, um das, was im Leben dran ist. Generell lässt sich sagen, dass eine Auffälligkeit vorliegt, wenn von der Ausbildung und den finanziellen Möglichkeiten her ein eigenständiges Leben möglich wäre, aber vermieden wird.

2. Warum bleiben viele junge Erwachsene immer länger zu Hause wohnen?

Haberer:

Wir müssen unterscheiden: Können die jungen Erwachsenen nicht, oder wollen sie nicht. Nicht wollen kann mit der mangelnden Bereitschaft zu tun haben, bestimmte Annehmlichkeiten aufzugeben. Nicht können mit der wirtschaftlichen Lage, der Angst, allein nicht klarzukommen, oder auch der Sorge um die Eltern. Nicht selten hat der junge Erwachsene in der Beziehung der Eltern eine stabilisierende Rolle.

3. Warum sind es viel mehr Männer als Frauen, die noch lange im Hotel Mama wohnen?

Haberer:

Das oft bemühte Argument, Jungs würden weniger im Haushalt eingespannt und hätten dadurch hier Defizite, halte ich für nicht schlüssig. Wenn ein junger Erwachsener auf eigenen Beinen stehen will, kann er sich die nötigen Fertigkeiten leicht aneignen. Entscheidender ist wohl, dass Jungs sich eher als Mädchen in virtuelle Welten zurückziehen und es vermeiden, sich in der realen Welt zu bewähren. Wer am Computer mit Gleichgesinnten alle möglichen Welten erobert, kann noch lange nicht allein im realen Leben bestehen.

4. Haben Eltern etwas in der Erziehung falsch gemacht, wenn Kinder nicht ausziehen wollen?

Haberer:

Wenn Kinder nicht ausziehen wollen, sollten die Eltern sich fragen, ob sie selber klar genug den Weg vorgeben, dass ein eigenes, von den Eltern unabhängiges Leben zu führen ganz natürlich und selbstverständlich ist. Vielleicht haben sie es zu gut gemeint und den Kindern wenig Eigenständigkeit und Selbstverantwortung zugemutet, oder sie waren zu ängstlich und besorgt und haben jeden Schritt der Kinder überwacht.

5. Wie kann man schon früh die Weichen dafür stellen, dass die Kinder erst gar nicht zu Nesthockern werden?

Haberer:

Eltern sollen Selbstständigkeit früh fördern. Es sollte normal sein, sich von den Eltern wegzubewegen, durch Übernachten bei Oma und Opa, später bei Freunden. Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl stärken, das führt zu einem Gefühl der Kompetenz gegenüber der Welt und ihren Herausforderungen. "Ich bin der Welt gewachsen" - das ist ein Gefühl, das sich im Kind von Anfang an entwickeln sollte. Damit Kinder sich gut lösen können, brauchen sie aber auch die Sicherheit, dass die Eltern für sie da sind und sie auch auffangen, wenn mal etwas schiefgeht.

6. Was kann man von den Kindern an Pflichten erwarten, wenn sie noch zu Hause wohnen?

Haberer:

Da sie nicht im Hotel leben, müssen sie sich an allem beteiligen, was so anfällt. Vom Aufräumen über das Einkaufen bis zu Arbeiten in Haus und Garten.

Wenn junge Erwachsene nicht ins Leben finden, ist die Erfüllung von Pflichten im Haushalt das geringste Problem. Diese jungen Erwachsenen müssen eher ein Gefühl dafür entwickeln, dass ihre Lebensform problematisch ist. Manchmal hilft das Beharren auf der Erfüllung von Pflichten allerdings auch dabei, dass die jungen Leute doch die Kurve kriegen.

7. Haben Eltern ein Recht darauf, irgendwann alleine zu wohnen?

Haberer:

Auf alle Fälle haben die Eltern ein Recht, allein zu wohnen. Sie haben ein Recht auf ein eigenes Leben, geradezu die Pflicht dazu. Wenn sie eigene Freundschaften pflegen, etwas ohne die Kinder unternehmen, auch mal ohne den Partner, vermitteln sie den Kindern, dass sie allein klarkommen. Und sie sind Vorbilder für ein der Welt zugewandtes Leben, das für die Kinder auch selbstverständlich sein sollte.

8. Wie kann ich den Kindern helfen, den Übergang in eine eigene Wohnung zu schaffen?

Haberer:

Die Hilfe fängt nicht beim Übergang in die eigene Wohnung an, sondern weit vorher. Wenn die Entwicklung insgesamt gut gelaufen ist, sind beim Übergang in die eigene Wohnung nur noch Dienstleistungen wie Umzugshilfe und zum Beispiel Vorhänge nähen gefragt. Notwendig ist auch weiterhin das Interesse an der Entwicklung der Kinder, die Pflege eines guten Drahts und die Gewissheit, dass die Eltern da sind, wenn sie gebraucht werden.