Auf der “Simple Man Cruise“ frönen Fans des Southern Rock vier Tage ihrer Leidenschaft - mit ihren Helden wie Lynyrd Skynyrd oder den Outlaws

Langsam rollt die "Norwegian Pearl" bei strahlendem Sonnenschein aus dem Hafen. Das 15 Deck hohe Kreuzfahrtschiff sticht majestätisch in die blaue See des Atlantischen Ozeans, die schneeweiße Skyline von Miami wird kleiner. Ende Oktober und 28 Grad - die Kreuzfahrt beginnt. Kreuzfahrt? Am Sonnendeck hängen Südstaaten- und Totenkopfflaggen. Auf dem Oberdeck der edlen "Pearl" drängen sich Menschen mit Harley-Davidson-T-Shirts, Tätowierte und Zopf-Träger - meist grauhaarig - vor riesigen Lautsprecherboxen. Biere werden geordert, kurze Tequilla-Shots verteilt, die Drums warmgespielt - Vorfreude bei "Virgins" und "Veterans". Dann legen Cartellone und seine Freunde als Gastgeber los: Lynyrd Skynyrd rockt das Oberdeck mit "Simple Man". "We are all family", ruft Sänger Johnny Van Zant der jubelnden Menge zu: Die "Simple Man Cruise 2012" - benannt nach dem Lynyrd-Song - ist offiziell eröffnet.

Ab jetzt werden 17 Southern Rock-Bands fast rund um die Uhr auf diversen Decks zu einer Vier-Tage-Party einheizen, neben Heroen wie Lynyrd Skynyrd, den Doobie Brothers und Outlaws auch junge Wilde wie Cadillac Black, A Thousand Horses oder Dirty Guv'Nahs. Wo sonst der normale Kreuzfahrer im Liegestuhl döst, Kinder im Pool planschen oder ältere Semester die Ruhe auf dem Meer genießen, haben sich Ende Oktober 2012 mehr als 2300 Freunde des Südstaaten-Rocks auf der vornehmen "Norwegian Pearl" zur sechsten "Simple Man Cruise" eingefunden. "Virgins", die erstmals mitfahren, und die erfahrenen "Veterans", die mindestens zum zweiten Mal das Schiff rocken, halten sich die Waage. Jeder mit der entsprechenden Karte um den Hals, wobei die "Virgins" sich so manche freundliche Frotzelei der "Alten" anhören müssen.

18 Nationen sind an Bord, darunter 44 Deutsche. Die größte Gruppe stellen aber die amerikanischen Fans, 2000 sind es - Familien, Pärchen, Freundesgruppen oder auch Einzelreisende. Jedes Alter ist vertreten, doch die 40- bis 50-Jährigen überwiegen. Seit 2007 organisiert Veranstalter Sixthman Tour die "Simple Man Cruise" für Lynyrd Skynyrd. Mit mehr als 25 Schiffsreisen seit 2001 rechnet sich Sixthman zu den Pionieren der Rock-Cruises mit Partnern wie Lynyrd Skynyrd, Kiss, Kid Rock und vielen anderen. Ihre "Mission" sei es, so Sixthman, die Mauer zwischen den Künstlern und ihren leidenschaftlichen Fans einzureißen. "Gleichgesinnte treffen sich in einer exklusiven und intimen Umgebung, um gemeinsam zu feiern."

Und tatsächlich lässt sich Sänger Johnny Van Zant mittags - also beim Frühstück - mit Fans ablichten. Lynyrd-Skynyrd-Gitarrist Sparky gibt in der Lobby Gitarrenunterricht. Brit Turner, Schlagzeuger von Blackberry Smoke, notiert - ohne zu zögern - die Namen seiner deutschen Fans Georg und Tommie für die Gästeliste beim nächsten Konzert. Marty Hill, Gitarrist von Preacher Stone, stellt sich am späten Abend direkt von der Bühne in der Bar Central zu seinen Fans und erkundigt sich, wie's geht. Da ist es schon fast nicht mehr verwunderlich, dass alle Fans eingeladen sind, als Lynyrd-Urgestein Garry Rossington am dritten Tag seine Dale auf dem Oberdeck heiratet.

Aber nicht nur dieser direkte Kontakt zu den Stars reizt 60 Prozent der Gäste, bei der nächsten Tour wieder dabei zu sein, wie Organisator Sixthman stolz berichtet. Ansgar, tätowiert, Zopf und aus Finnland, hat alle Touren mitgemacht. "Wegen der tollen Leute hier." Die Musik vereint alle, ob aus Helsinki, New York, Madrid oder Bielefeld. Es wird zusammen gerockt, gegrölt, getanzt und gefachsimpelt über die Musik oder auch die Harley, oder einfach ein Bier - oder auch Sixpack - an der Sky High Bar ausgegeben. Aber weder torkelt hier jemand übers Deck, noch gibt es aggressive Stimmung. Im Gegenteil, die Atmosphäre ist völlig entspannt. "Jeder ist so heiter und cool mit jedem. Es ist unglaublich", staunt Bernice.

Und selbst der freundlichen Rezeptionistin sind die Rock-Fans lieber als mancher normale Kreuzfahrer. "Bei den üblichen Kreuzfahrten braucht es im Schiff nur zu knarzen, dann haben wir hier am Tresen ängstliche Nachfragen, ob das Schiff untergeht. Darüber beklagt sich hier niemand." Und das, obwohl die Ausläufer des Jahrhundert-Hurrikans "Sandy" die imposante "Pearl" mitunter ganz schön rockt. "Sandy" ändert auch die Reiseroute: Aus den geplanten Landgängen in Key West und den Great Stirrup Cay auf den Bahamas wird nichts. "Wir wollen sicherstellen, dass Musik für ein spürbares 'Rocking' sorgt - und nicht das Schiff", so Sixthman.

Statt weißem Strand auf den Bahamas geht es nach Cozumel. Als die "Norwegian Pearl" nach zwei Tagen Non-Stop-Rock und guter Laune im kleinen Hafen der Insel vor Mexiko festmacht, ist die Routenänderung nicht mehr ärgerlich, sondern scheint gar eine unnötige Unterbrechung der Party zu sein. Bei mehr als 30 Grad kommen die meisten Landgänger ohnehin nicht weiter als bis zur nächsten Hafenkneipe. Nach der Rückkehr trifft sich wieder alles zum Abrocken mit den Outlaws. Die Rock-Familie ist wieder zusammen und feiert in die Nacht hinein, bis selbst Solo-Gitarrist Scott Munns um 3 Uhr morgens nicht mehr kann.

Am letzten Abend bevölkern leichtbekleidete Indianer-Squaws, Seeräuber, Cleopatra, Batman und der Weihnachtsmann die Konzerte auf den verschiedenen Decks: Amerika feiert Halloween. Die Tage zuvor balancierte bereits das halbe Schiff auf Plateausohlen zur 70er-Jahre-Fete übers Deck, die Herren in grässlich-farbenen Anzügen, die Mädchen in glitzernden Minikleidern mit "Make Love, Not War"- Schmuck am Ohr. Jeder kann, keiner muss bei den Motto-Partys mitmachen. Aber alle haben Spaß.