“Du sollst nicht töten“, das leuchtet noch ein. Aber was heißt, “nicht falsch Zeugnis reden“ in Zeiten von Facebook? Was sagen uns die Zehn Gebote heute? Sie gelten in Europa als Grundlage der Moral im Zusammenleben. Auf ihnen fußen Gesetzgebung und ethisches Empfinden. Wer die Zehn Gebote heute interpretiert, muss versuchen, sie in die Gegenwart zu übersetzen. Eine Auswahl von Fotografien unterstreicht - manchmal sehr konkret, manchmal abstrakt - die Aussage des jeweiligen Gebotes. Das dritte Gebot, nach reformierter Zählung, interpretiert Stephan Loos, Leiter der Katholischen Akademie

Es hat sie immer gegeben und gibt sie bis heute: diejenigen, die meinen, im Namen Gottes sei alles erlaubt. All die Gewalt, die seinetwegen verübt, all die Ungerechtigkeit, die mit ihm legitimiert, all das Blut, das in seinem Namen vergossen wurde, hat dem Namen Gottes seinen Glanz geraubt. Und auch sie hat es immer gegeben - bis heute: diejenigen, die genau wissen, was im Namen Gottes zu unterlassen, was um des Himmels willen verboten ist: Abtreibung, Scheidung ... All die Verurteilungen, die in seinem Namen gesprochen wurden, all die Einschüchterung, die seinetwegen geschah, hat dem Namen Gottes seinen Glanz geraubt.

Der Name Gottes ist das "beladenste aller Menschenworte", so der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Keines sei so besudelt, so zerfetzt und missbraucht worden. Da liegt es nahe, es nicht mehr zu nutzen. Denn ist nicht jeder Ausspruch des göttlichen Namens auch schon sein Missbrauch? Schließlich können wir nur das benennen, was wir kennen bzw. erkannt haben. Indem wir es benennen, können wir auch über es verfügen, haben wir Macht über das Benannte. Aber das, was in unserer Macht steht, worüber wir verfügen können, kann nicht Gott sein. Denn göttlich ist doch gerade das bzw. der, der sich dem menschlichen Zugriff entzieht, der alle menschliche Macht übersteigt. Das ist der Grund, warum für das Judentum der Name Gottes unaussprechlich ist und bei Bibellesungen immer durch ein anderes Wort ersetzt wird. Auch die Gläubigen anderer Religionen hat diese Erkenntnis dazu bewogen, den Namen Gottes nicht auszusprechen: "Der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name", heißt es zum Beispiel bei Laotse. Oder aber sie nennen Gott mit einer unendlichen Vielzahl von teilweise sich widersprechenden Namen, wie in dem islamischen Gebet der schönsten Namen Gottes.

Bleibt also demjenigen, der das dritte Gebot befolgt, nur der Weg, den Namen Gottes zu verschweigen, weil nur so sein Missbrauch vermieden werden kann? Denn wer einen passenden Namen suchte, der fände ihn doch nicht: Gott als der "allein ohne Namen"?

Wir Christen glauben, dass Gott selbst in Jesus Christus Mensch geworden ist und sich einen Namen gegeben hat. Dem freilich als Namen Gottes das beschriebene Schicksal widerfährt: Er wird verraten, geschändet, gefoltert und getötet. Gott selbst setzt sich dieser Spannung aus: Er will erkannt, verstanden und genannt werden, auf die Gefahr hin, dass ihm unsere menschliche Erkenntnis, dass ihm die Namen, die wir ihm geben, nicht gerecht werden. Weil sie ihn in seiner Allmacht eingrenzen, ihm den Glanz rauben.

Auch Martin Buber war der Überzeugung, dass das Verschweigen Gottes und seines Namens keine adäquate Konsequenz aus dem Gebot sei, den Namen Gottes nicht zu missbrauchen. Denn wir können den Namen Gottes "nicht reinwaschen". Aber wir können ihn, "befleckt und zerfetzt", wie er ist, nennen - in der Hoffnung, dass all unsere Worte in ihrer Unangemessenheit von Gott gewollt sind, und in der Überzeugung, dass es beim Nennen des Namens Gottes nicht bleiben darf, sondern dass wir ihm in unserem Tun entsprechen müssen. Denn erst wenn aus dem Namen ein Tätigkeitswort wird, wenn wir seinen Namen mit unserem eigenen Leben - glaubend, hoffend und liebend - bezeugen, werden wir ihm gerecht. Das ist kein Freifahrtschein, ihn so zu nennen, wie es uns beliebt, sondern eine Bescheidenheit, die sich bewähren muss, und die weiß, dass sie auch dann noch nicht frei von Missbrauch ist.

Vortragsreihe "Die 10 Gebote" an St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1: Den Auftakt bildet Fulbert Steffensky. Er spricht unter dem Motto "Von Gott erkannt - von Göttern befreit!" zum 1. Gebot am 20.2., 19.30 Uhr.

Am 25. März um 19.30 Uhr referieren Sabine Schulze, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe, und Alexander Röder, Hauptpastor St.-Michaelis-Kirche, zum 2. Gebot "Du sollst Dir kein Bildnis machen". Infos www.katharinen-hamburg.de