mit Propst Johann Hinrich Claussen über die Leichtigkeit des Schenkens ohne Bedingungen

Häufig wird darüber geklagt, dass die Adventszeit so anstrengend sei, weil man all die vielen Geschenke zu besorgen habe. All die Wege und Gänge, das ganze Gedränge und Geschiebe. Vielleicht hilft da ein Gedanke aus Bertolt Brechts Theaterstück "Der gute Mensch von Sezuan". Darin fragt sich der Weise Shen Te, ob es nicht eigentlich viel anstrengender sei, seinen Mitmenschen Schlechtes zu tun. Die Stirnader schwelle einem doch dabei an, vor lauter Mühe, gierig zu sein. Wie viel leichter und natürlicher wirke es doch, dem Mitmenschen die Hand entgegenzustrecken, um ihm etwas Gutes zu tun. Wie angenehm es doch wäre, freundlich zu sein. Und ihm entfährt der Seufzer: "Ach, welche Verführung, zu schenken!"

Welche Verführung, zu schenken - das ist mal eine überraschende Moralpredigt. Als echter Protestant hält man es eher mit dem Gegenteil. Das Tun des Guten ist eine Pflicht. Es äußert sich in Verzicht, vollzieht sich in Selbstüberwindung. Gut ist eine Handlung erst dann, wenn sie wenigstens ein bisschen wehtut. Sonst gilt sie für viele Protestanten nicht. Doch das ist grundfalsch. Denn es ist anstrengender und schmerzhafter, böse zu sein: zu kämpfen und zu streiten, zu feilschen und zu schachern, zu jagen und zu töten. Leicht wird das Leben erst, wenn man einander gut ist, höflich aufeinander achtet, freundlich übereinander spricht. Und am deutlichsten zeigt sich diese Leichtigkeit des Guten im Schenken.

Schenken ist schwer, wahrscheinlich, weil es so leicht ist. Diese Leichtigkeit des Guten zu begreifen ist eine besondere Herausforderung: freundlich sein, nichts erzwingen, sondern das Gute geschehen lassen, es einfach tun ohne Nebenabsichten. In diesem Sinne ist das Schenken ein Inbegriff von Nächstenliebe und also zutiefst christlich: einfach geben, nur um dem anderen zu nützen und ihn zu erfreuen. Nichts damit erkaufen, nicht bestechen, nichts kompensieren mit Konsumüberschüttung, keine Lebens- und Liebesschulden abbezahlen. Es gibt nur diese eine Regel beim Schenken, nämlich dass man es einfach so tut. Viel Freude beim Einkaufen!

Dieser und weitere anregende Texte finden sich in dem neuen Buch von Johann Hinrich Claussen: "Gegenwindgedanken. Auf dem Fahrrad durch das Kirchenjahr", Kreuz Verlag, 2012