Der Ausnahmesaxofonist Sebastian Gille - ein Porträt

Das Saxofon hatte seine Hochphase bis Ende der 1980er-Jahre. Es war die Zeit, in der expressive Soli im Jazz und Pop bejubelt wurden, bevor sie schließlich in Ungnade fielen und auch das Instrument in den Hintergrund trat. Sebastian Gille war damals noch ein kleiner Junge. Doch wenn er an diese Zeit denkt, huscht ein Lächeln über das Gesicht des 29-Jährigen: "Klar habe auch ich im Radio gerne Tina Turner und Joe Cocker gehört und mich vor allem für das Saxofon begeistert." Die Begeisterung war der Startschuss für eine kometenhafte Karriere.

2007 blies Gille erstmals als Gastsolist bei der NDR Bigband. Nebenbei unterhält er seit 2009 sein eigenes Quartett mit dem Pablo Held Trio. Im November 2011 erschien das Debütalbum "Anthem". Außerdem organisierte er 2010 unter dem Titel "Gille's Art" eine eigene Konzertreihe im Jazzraum im Hafenbahnhof. Da mag es als Krönung anmuten, wenn er und die NDR Bigband unter Leitung von Jörg Achim Keller sich mit dem Ensemble Kwadrofonik das "NDR Podium der Jungen" teilen. Auf dem Programm stehen Werke von Strawinsky und Chopin - und "My Favorite Songs" von Gille.

Für diesen erstaunlichen Werdegang braucht es Zähigkeit, vor allem aber Leidenschaft und Talent. Davon hat das Jazz-Wunder Gille jede Menge. Man merkt es daran, wie seine Hände in der Luft imaginäre Skulpturen formen, wenn er vom Zauber der Musik erzählt. "Ich wollte immer besser werden. Das ist einfach meine Berufung." Mit 14 Jahren erlernte er das Tenorsaxofon, schon bald kehrte er dem heimischen Quedlinburg den Rücken, um Berufsmusiker zu werden.

Das Studium an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater bei Fiete Felsch absolvierte er mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes im Rücken. Schon in dieser Zeit spielte er mit Größen wie Al Jarreau, Nils Landgren oder Joe Sample. 2003 gewann er den Yamaha SaxContest in der Kategorie Jazz und blies fortan im Bundesjugendjazzorchester unter der Leitung von Peter Herbolzheimer. 2007 spielte er erstmals in der NDR Bigband. Steve Gray buchte ihn für ein Projekt mit Abdullah Ibrahim, da war er gerade mal 24 Jahre alt.

Über seine Mentoren, darunter Branford Marsalis, spricht er voller Ehrfurcht. "Am meisten begeistert mich ihre menschliche Seite", sagt er. "Man spürt, dass sie bestimmte Lebensweisheiten von ihren Lehrern übernommen habe, Marsalis etwa von Art Blakey. Wenn man wie er auf hohem Niveau mit Musik aufwächst, ist das schon aufregend." Als Einspringer für einen erkrankten Kollegen ging er mit Al Jarreau auf Konzertreise und konnte den Jazz-Sänger auf der Reise im Tourbus quer durch Europa aus der Nähe erleben: "Ein unglaublich angenehmer Mensch."

Aber das ist überhaupt das Größte für Gille: die Offenheit, die echte Größen der Jazz-Kunst ihm als Nachwuchstalent entgegenbringen. Dazu zählt er auch den Schlagzeuger Jim Black oder Michael Gibbs. Die britische Jazzlegende, 75 Jahre alt, schreibt die Arrangements zu seinen Eigenkompositionen für den Auftritt im November. "Das sind wahre Könner in ihrem Genre, die Leuten wie mir mit Respekt begegnen", sagt Gille. "Gibbs versucht jedes Mal aufs Neue, die Musik erst einmal zu durchdringen."

Die NDR Bigband bezeichnet Gille als sehr besonders. "Das sind alles unglaubliche Solisten, jeder für sich eine Persönlichkeit. Sie haben auf ihrem Instrument einen Personalstil entwickelt, bei dem sie unverwechselbar sind." Man spürt seinen Stolz, dass diese Musiker nun seine Kompositionen spielen und er als Solist vorgestellt wird. Die eigene Musik hat er mit seiner Band aus Pablo Held, Jonas Burgwinkel und Robert Landfermann entwickelt, den drei Kölner Musikern, die auch als Pablo Held Trio erfolgreich sind. "Ich habe mich lange gefragt, wo ich mich selbst höre, und viel Zeit am Flügel mit Kompositionen verbracht."

Seine Werke sind keiner speziellen Richtung zuzuordnen. Melodiös, fragil, dann wieder virtuos. Er selbst ist Fan von so unterschiedlichen Musikern wie Wayne Shorter, Paul Motian und Herbie Hancock. "Die Band und ich, wir teilen die gleiche Suche", sagt er. "Pablo breitet sich am Piano um mich herum aus. Gemeinsam erzeugen wir eine Stimmung wie ein Gespräch." Gille lächelt und malt erneut Gesten ins Imaginäre. "Die Ernsthaftigkeit bei der Musik, das ist einfach das Wichtigste."

NDR Podium der Jungen: "Sax & Kwadrofonik" 30.11., 20.00, Rolf-Liebermann-Studio, Karten zu 18,- unter T. 0180/178 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, max. 42 Cent pro Minute aus Mobilfunknetzen) oder www.ndrticketshop.de