Der Pianist Kirill Gerstein gastiert beim NDR Sinfonieorchester mit dem Konzert für die linke Hand von Maurice Ravel

Die Karriere des österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein schien zu Ende, als der damals 30 Jahre junge Künstler während des Ersten Weltkriegs in Polen schwer verwundet wurde und anschließend in russische Gefangenschaft kam. Wittgenstein musste der rechte Arm amputiert werden, für einen Pianisten gemeinhin das Ende der Karriere. Doch der Industriellensohn wollte sich mit seinem Schicksal nicht abfinden. Er arrangierte Stücke berühmter Komponisten neu und konzertierte weiterhin, als Einarmiger. Weil er aus begütertem Hause war, konnte er Klavierstücke für die linke Hand in Auftrag geben, etwa bei Maurice Ravel. Der schrieb das Werk 1929/1930 für Wittgenstein, war aber nach der Uraufführung erzürnt über den Auftraggeber, weil dieser den Notentext gravierend geändert hatte. Sein Ausruf "Interpreten sind Sklaven" ist in die Musikgeschichte eingegangen.

Der russische Pianist Kirill Gerstein wird Ravels Werk bei seinem Debüt mit dem NDR Sinfonieorchester spielen. Als Sklave eines Komponisten fühlt Gerstein sich sicher ebenso wenig wie die meisten seiner Kollegen, dafür sind Selbstbewusstsein und Interpretationsgabe des 1979 geborenen Virtuosen viel zu groß. Schon als Elfjähriger gewann er seinen ersten musikalischen Wettbewerb, später wurde er mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft. Den bedeutendsten Preis nahm er 2010 entgegen, als er den Gilmore Artist Award erhielt, der mit 300 000 Dollar dotiert ist.

Wenn Gerstein sich in der Laeiszhalle an den Flügel setzt, steht ein berühmter Landsmann von ihm am Dirigierpult. Semyon Bychkov wurde wie Gerstein in Leningrad geboren, doch der heute 59-Jährige emigrierte bereits 1975 in die USA. Die längste Phase als Chefdirigent verbrachte er in Deutschland: 13 Jahre lang stand er dem WDR-Sinfonieorchester in Köln vor, seit 2010 ist Bychkov freischaffender Dirigent.

Wichtig ist es ihm, in die Kultur eines Landes einzutauchen. "Ich kann die Musik eines Landes authentisch und glaubwürdig nur dann interpretieren, wenn man mit dieser Lebenswelt vertraut ist. Man kann Brahms nicht als Tourist dirigieren", sagte er einmal in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Da trifft es sich, dass er auch einen Wohnsitz in Frankreich hat. Denn es steht zwar kein Brahms auf seinem Hamburger Programm, dafür aber außer Ravel Werke des Franzosen Paul Dukas (1865-1935) und von Igor Strawinsky, der in Paris gelebt hat, nach Russland zurückkehrte und später wie Bychkov in die USA auswanderte. Dukas' bekanntestes Werk ist "Der Zauberlehrling", die Vertonung der gleichnamigen Ballade von Johann Wolfgang von Goethe. Berühmt wurde das Stück 1940 durch Walt Disneys Zeichentrickfilm "Fantasia", in dem Mickymaus als Zauberlehrling unerlaubt einen Besen verzaubert, dann aber das verflixte Ding nicht mehr in den Griff bekommt.

Als drittes Werk steht Strawinskys Ballettmusik "Petruschka" auf dem Programm. Die Komposition mit dem Beinamen "Ballett der Straße" wurde 1911 in Paris uraufgeführt und gehört zusammen mit dem "Feuervogel" und "Sacre du Printemps" zu seinen bedeutendsten Werken. Der Komponist sagte über sein Werk: "Ich hatte die hartnäckige Vorstellung von einer Gliederpuppe, die plötzlich Leben gewinnt und durch die teuflischen Arpeggien ihrer Sprünge die Geduld des Orchesters so sehr erschöpft, dass es sie mit Fanfaren bedroht. Daraus entwickelt sich ein schreckliches Wirrwarr, das auf seinem Höhepunkt mit dem schmerzlich-klagenden Zusammenbruch des Hampelmanns endet."

Abo-Konzert 20. und 21.12., jeweils 20.00, Laeiszhalle. Karten zu 10,- bis 46,- unter T. 0180/178 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, max. 42 Cent pro Minute aus Mobilfunknetzen) oder www.ndrticketshop.de